Das Zitat des Tages – diesmal von Dieter Nuhr

In einem Interview mit der Wiener Zeitung (hier nachzulesen) sagte der Kabarettist Dieter Nuhr auf die Frage, wie er mit Shitstorms umgehe:

Ich empfinde kollektive Blödheit leider oft als persönliche Beleidigung. Mein Fehler. Viele Leute reden von Schwarmintelligenz. Ich glaube: Ein Schwarm ist meist nur so schlau wie sein dümmstes Mitglied. Und ein Hirntoter ist immer dabei.

Der Shitstorm ist die moderne Form des Prangers. Insofern führt uns ausgerechnet das Internet zurück ins Mittelalter. Beim Shitstorm geht es wie damals nicht um argumentative Auseinandersetzung, sondern um die Züchtigung des Einzelnen durch die erregte Masse. Also um Triebbefriedigung. So etwas erledigte der Deutsche 1939 noch in der realen Welt, heute nur noch digital. Insofern ist das Internet ein Fortschritt.

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Wer hat das geschrieben? Ein Rätsel für meine Leser

Heute soll es einmal ein Rätsel sein, aber keine Angst, das Rätsel wird am Ende des Beitrags gelöst. Es geht um ein Werk, das so beginnt:

Rings um das mannigfaltig gegliederte Binnenmeer, das tief einschneidend in die Erdfeste den größten Busen des Ozeans bildet und, bald durch Inseln oder vorspringende Landfesten verengt, bald wieder sich in beträchtlicher Breite ausdehnend die drei Teile der alten Welt scheidet und verbindet, siedelten in alten Zeiten Völkerstämme sich an, welche, ethnographisch und sprachgeschichtlich betrachtet, verschiedenen Rassen angehörig, historisch ein Ganzes ausmachen. Dies historische Ganze ist es, was man nicht passend die Geschichte der alten Welt zu nennen pflegt, die Kulturgeschichte der Anwohner des Mittelmeers, die in ihren vier großen Entwickelungsstadien an uns vorüberführt die Geschichte des koptischen oder ägyptischen Stammes an dem südlichen Gestade, die der aramäischen oder syrischen Nation, die die Ostküste einnimmt und tief in das innere Asien hinein bis an den Euphrat und Tigris sich ausbreitet, und die Geschichte des Zwillingsvolkes der Hellenen und der Italiker, welche die europäischen Uferlandschaften des Mittelmeers zu ihrem Erbteil empfingen.

Na, wer weiß es? Die beiden Sätze (es sind wirklich nur zwei!) sind natürlich für den heutigen Leser eine Zumutung, kaum einer unserer Abiturienten, deren Atem nur noch für kurze Sätze reicht, wird auch nur einen von ihnen beim ersten Lesen überblicken, und ein zweites Lesen wird er sich nicht antun.

Hier ist noch eine zweite Kostprobe, die es vielleicht ein bißchen leichter macht, auf Autor und Werk zu kommen; es stammt aus dem Kapitel „Glaube und Sitte“:

In strenger Bedingtheit verfloß dem Römer das Leben und je vornehmer er war, desto weniger war er ein freier Mann. Die allmächtige Sitte bannte ihn in einen engen Kreis des Denkens und Handelns und streng und ernst oder, um die bezeichnenden lateinischen Ausdrücke zu brauchen, traurig und schwer gelebt zu haben war sein Ruhm. Keiner hatte mehr und keiner weniger zu tun als sein Haus in guter Zucht zu halten und in Gemeindeangelegenheiten mit Tat und Rat seinen Mann zu stehen. Indem aber der einzelne nichts sein wollte noch sein konnte als ein Glied der Gemeinde, ward der Ruhm und die Macht der Gemeinde auch von jedem einzelnen Bürger als persönlicher Besitz empfunden und ging zugleich mit dem Namen und dem Hof auf die Nachfahren über; und wie also ein Geschlecht nach dem andern in die Gruft gelegt ward und jedes folgende zu dem alten Ehrenbestande neuen Erwerb häufte, schwoll das Gesamtgefühl der edlen römischen Familien zu jenem gewaltigen Bürgerstolz an, dessen gleichen die Erde wohl nicht wieder gesehen hat und dessen so fremd- wie großartige Spuren, wo wir ihnen begegnen, uns gleichsam einer anderen Welt anzugehören scheinen.

Wer sich einmal eingehender mit dem alten Rom beschäftigt hat, weiß jetzt natürlich, um welches Werk es sich handelt: die „Römische Geschichte“ von Theodor Mommsen. Der große Historiker und Altertumswissenschaftler des 19. Jahrhunderts hat dafür 1902, kurz vor seinem Tod, den Nobelpreis für Literatur erhalten – eine seltene, aber hochverdiente Auszeichnung für einen Historiker. Man muß das gewaltige Werk übrigens nicht von vorn bis hinten durchlesen; es ist schon ein geistiges Vergnügen, sich hin und wieder ein Kapitel vorzunehmen. Und ein teures Vergnügen ist es auch nicht, die kompletten acht Bände bekommt man antiquarisch schon für gut 30 Euro.

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Gestern waren überall Wahlhelfende und Wahlhelfer:innen zugange!

Jedenfalls in Hessen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Die Frankfurter Rundschau, die einmal eine solide, liberale Tageszeitung war (ich erinnere an ihren langjährigen Chefredakteur Karl Gerold!), heute aber nur noch Wachs in den Händen jeder neuen linken Sprachdummheit ist, schreibt in ihrer Online-Ausgabe heute folgendes (hier nachzulesen):

Dubioses Schreiben an Walhhelfende aufgetaucht.

Wahlhelfende! Im Text selbst sind aus den Walhelfenden dann Wahlhelfer:innen geworden – ein Unwort schlimmer als das andere. Ein Journalist, der bei der Zerstörung der deutschen Sprache aus niedrigen Beweggründen (Ideologie!) Beihilfe leistet, statt die Sprache zu pflegen und zu bewahren, hat seinen Beruf verfehlt.

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Suhrkamp hat jetzt einen Hauslyriker

Jakob Nolte hat im Suhrkamp-Verlag einen neuen Roman veröffentlicht. Er heißt „Kurzes Buch über Tobias“ – aber um ihn soll es hier nicht gehen. Es geht eher darum, wie der Verlag seinen neuen Autor bewirbt. In einer tiefroten Anzeige in der Literaturbeilage der F.A.Z. stehen neben dem Cover des Buches nur zwei Sätze. Der eine:

Jede Biographie ist ein Evangelium.

Ein in seiner Allgemeingültigkeit eher zweifelhafter Satz. Meine Biographie jedenfalls ist kein Evangelium. Ich kenne auch niemanden in meinem Umfeld, dessen Biographie man als frohe Botschaft bezeichnen könnte. Bezieht sich der Satz also auf den Roman? Lesen wir dazu, was Suhrkamp über das Buch seines neuen Autors schreibt (hier nachzulesen):

Kurzes Buch über Tobias beschreibt in achtundvierzig Kapiteln das Leben des Schriftstellers, Pfarrers und Televangelisten Tobias Becker. Er wuchs in Niedersachsen auf und lebt in Berlin, spielt gern Tischtennis und will das Gute. Auf einer Reise nach Belgrad verliebt er sich in einen Mann namens Tobias und bekehrt sich zu Gott. Er wird Zeuge, wie Menschen zu Hasen werden, sich Liebe in Hass verwandelt und ein Flugzeug in den Alpen verbrennt. Wie viele Männer wähnt er einen Messias in sich. In Tobias Beckers Welt ist alles unausweichlich miteinander verwoben: Familie, Glauben, Subjekt und Gewalt. Es ist eine Welt voller Alpträume und Wunder.

Der Roman hätte, wie man sieht, auch Eine kurze Geschichte von fast allem heißen können – aber dieser Titel ist ja schon vergeben.

Wie soll man nun, von der Handlung abgesehen, den Roman in seiner Bedeutung für die deutsche Literatur einschätzen? Dazu lesen wir bei Suhrkamp folgendes:

Jakob Noltes neuer Roman ist eine moderne Heiligenerzählung, ein mystisches Rätsel. Er handelt von der Einsamkeit in der Heimat und der Verlorenheit in den Städten, von Allmacht und großer Unsicherheit, Spiritualität und dem Internet, der Sehnsucht nach Zugehörigkeit und dem Streben nach Sinn. Er wirft alle Vorstellungen von biografischem oder autofiktionalem Schreiben über den Haufen und lotet auf einzigartige Weise den Reichtum der Literatur aus: Erzählen voller Witz und Wissen, voller Romantik, Traurigkeit und funkelndem Humor.

Es ist, mir jedenfalls, ein mystisches Rätsel, wie der Mitarbeiter eines (immer noch) renommierten Verlags solche Sätze aufs Papier bringen kann. Oder hat man bei Suhrkamp jetzt einen Hauslyriker angestellt? Stellenbeschreibung: muß Fähigkeiten im hymnischen Stil besitzen?

Aber in der roten Verlagsanzeige steht noch ein zweiter Satz:

Mit Kurzes Buch über Tobias schreibt Jakob Nolte die Literatur auf einen neuen Nullpunkt zu.

Es ist ein Zitat von Lisa Kreißler vom NDR, das der Verlag offenbar für werbewirksam hält. Mir sind freilich Bücher lieber, in denen der Autor zu einem neuen Höhepunkt der Literatur, und nicht zu deren Nullpunkt, strebt. Aber ich bin halt nur ein alt(modisch)er weißer Mann. Ich wähne ja nicht einmal – „wie viele Männer“ – einen Messias in mir!

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Fundstücke aus einem alten Duden (3): „Kolospinthechromokrene“

An dieser Stelle berichte ich in unregelmäßigen Abständen von Wörtern, wie man sie nur in alten Büchern findet – in diesem Fall in einer Ausgabe von Dudens „Orthographischem Wörterbuch der deutschen Sprache“ (8. Auflage 1908).

„Kalospinthechromokrene“ – was für ein Wortungetüm! Es paßt nicht einmal in eine Spalte des dreispaltig gedruckten Duden. Im Wörterbuch der Brüder Grimm findet man es noch nicht, und doch wurde dieser Zungenbrecher 1908 für würdig befunden, in den Duden, also in ein Wörterbuch der deutschen Sprache, aufgenommen zu werden. „Springquelle“, das nur nebenbei, ist ein altes, heute kaum noch gebrauchtes Wort für „Springbrunnen“.

Im Kleinen Konversations-Lexikon von Brockhaus (5. Auflage 1906) lautet der Eintrag ähnlich:

Kalospinthechromokrene (grch.), künstlich mit wechselnden Farben beleuchteter Springbrunnen.

Und auch Meyers Großes Konversations-Lexikon von 1905 bringt einen ähnlichen Eintrag, ergänzt durch den Versuch einer wörtlichen Übersetzung:

Kalospinthechromokrene (griech., »Schönfunkenfarbenquelle«), ein künstlich beleuchteter und dadurch in schönen Farben funkelnder Springbrunnen.

Auch in der Romanliteratur des 19. Jahrhunderts findet sich das Wort hin und wieder, z.B. bei dem Schweizer Schriftsteller Joseph Viktor Widmann (1842-1911). Einer epischen Dichtung gab er 1872 unter dem Pseudonym Lodovico Ariosto Helvetico den Titel

Kalospinthechromokrene oder der Wunderbrunnen von Is. Ein „Ritt in’s alte romantische Land“ mit manchen Rösselsprüngen in die modernste Gegenwart. Ausgeführt als epische Dichtung in zwölf Gesängen.

In Karl Mays Erzählung Der Sohn des Bärenjägers zeigt Winnetou seinen Begleitern ein seltenes Naturschauspiel – eine Wassersäule, die an die 50 Fuß in den Himmel steigt:

Gerade hinter diesem Wunderwerke der Natur trat die Uferwand zurück und bildete einen tief ausgeschnittenen Felsenkessel, auf dessen hinterem Rande scheinbar die untergehende Sonne lag. Ihre Strahlen fielen auf die Wassersäule, welche dadurch als eine geradezu unbeschreibliche Kalospinthechromokrene in den herrlichsten Farben leuchtete und brillierte.

Auch in seinem Roman Der Schatz im Silbersee taucht das Wort auf. Dort läßt Karl May eine seiner Romanfiguren sagen, daß nur die Sachsen an der Elbe echte Sachsen seien. Moritzburg und Perne, heißt es da, seien die „Mittelpunkte aller kalospinthechromokrenen Größe“.

Der Schriftsteller Albert Hopf veröffentlichte 1868 ein Buch mit dem langen Titel

Deklamations-Kalospinthechromokrene
enthaltend: Feuergarben des Witzes, Leuchtkugeln des Humors, Raketen der guten Laune, Kanonenschläge der ausgelassensten Heiterkeit und des Frohsinns.

Auch in der Musikgeschichte begegnet uns das Wort. Der österreichische Komponist Carl Michael Ziehrer komponierte 1867 eine „Polka francaise für Pianoforte“ mit dem Titel „Die Wunderfontaine (Kalospinthechromokrene)“.

Unter den Vorführungen des „funkelnden Springbrunnens“ im Theater waren offenbar die von Tschuggmall und Bergheer besonders beliebt. Es war ein buntes Programm, mit dem die kleine Truppe durch halb Europa zog. Joseph Tschuggmall (1785-1845) steuerte „Automaten“ bei (einige sind hier zu sehen), nach seinem Tod setzte seine Tochter die Theatervorführungen fort. Ludwig Bergheer, der einmal als Magier, dann wieder als Physiker und Mechaniker bezeichnet wird, kam später dazu und führte allerlei Zauberkunststücke auf, vermutlich auch, wie aus der Zeitungsannonce im Laibacher Tagblatt von 1872 (rechts) zu lesen ist, die „Brillant-Fontaine, beleuchtet durch das elektrische Licht“.

Ach, wenn man in alten Wörterbüchern stöbert, kommt man vom Hundertsten ins Tausendste! Aber wir wollen dem ein Ende machen – mit einem „Couplet-Scherz“ von Paul Hübner, der so beginnt:

Ein Wort, das früher man nicht kannte,
Man erst in neu’rer Zeit ersann,
Kein Wörterbuch ’s bis dahin nannte,
Das heut geläufig Jedermann –
Bedeuten soll es, wie man munkelt,
Ein schönes Trugbild auf der Szene,
’s zeigt prächtig sich, sobald es dunkelt,
Als Kalospinthechromokrene!

PS: Den fast unaussprechlichen Namen soll übrigens ein gewisser Friedrich Gottlieb Großkopf erfunden haben, der in Berlin das erste Café-Chantant gegründet hatte. Er gab ihm später den Namen „Walhalla“.

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„Mord mit Aussicht“ mit neuen Schauspielern? Nein, danke!

„Mord mit Aussicht“, eine der besten Unterhaltungsserien der ARD in den letzten ein, zwei Jahrzehnten, schon vor längerer Zeit eingestellt, weil die Schauspieler die immer kürzeren Drehzeiten pro Folge nicht mehr hinnehmen wollten, soll also mit neuen Schauspielern wiederaufgenommen werden. Wer die Serie kennt, den graust es schon bei dem Gedanken daran.

Das Polizeirevier von Hengasch ohne Sophie Haas (Caroline Peters), Dietmar Schäffer (Bjarne Mädel) und Bärbel Schmied (Meike Droste) – das ist einfach undenkbar, es ist ein Frevel, eine Zumutung. Auch wenn die neuen Schauspieler sich redlich abmühen, man wird dabei immer nur das Verlorene im Kopf haben: Schäffers „Mann, Mann, Mann!“ (wenn mehr als ein Telefonat am Tag zu führen war), Bärbels verträumten Blick – und natürlich „die Frau Haas“, gespielt von der großartigen Caroline Peters.

Nein, so eine „Fortsetzung“ mögen sich andere ansehen, ich nicht. Da würde mir nur wehmütig ums Herz. Lieber mit Freude und Dankbarkeit zurückdenken an ein Stück großartiges Fernsehen, das so vergänglich ist wie alles im Leben.

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Sprachliches Absurdistan in der Frankfurter Rundschau: „Freier“ sind jetzt „Sexkund:innen“

In einem Artikel über das weitgehende Prostitutionsverbot in Frankreich und seine Folgen liest man Befremdliches:

Viele der „respektvolleren“ Sexkund:innen hätten sich aus Sorge vor Strafen zurückgezogen, berichten sie. Rund 42 Prozent der Sexarbeiter:innen seien nun deutlich mehr Gewalt ausgesetzt. Rund 70 Prozent der Befragten konnte auch keine Verbesserung der Beziehung zur Polizei erkennen. Im Gegenteil: Viele der migrantischen Sexarbeiter:innen fühlten sich gezwungen, ihre verbliebenen Kund:innen anzuzeigen – aus Sorge vor Abschiebung.

Ach, früher war alles so einfach – da ist ein Freier zu einer Prostituierten gegangen. Heute geht ein(e) Sexkund*in zu einer/m Sexarbeiter*in. Was sie dann miteinander treiben, ist zwar dasselbe wie in den tausend Jahren zuvor, aber sie treiben es jetzt wenigstens in gerechter Sprache!

Was ich freilich zur vollen sprachlichen Gerechtigkeit noch vermisse, sind Pädophil:innen, Haßprediger*innen und Mörder_innen. Warum hört man so wenig von ihnen? Ich weiß es nicht. Auch Diktator*innen und Folter*er/innen sind dünn gesät. Aber keine Sorge, das kommt alles noch!

Bei soviel Gerechtigkeit könnte man mit Hutten ausrufen:

O saeculum! O iustitia! Iuvat vivere!

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Wonach der ächte Philosoph sucht

Da wir schon einmal bei Schopenhauer sind, reiche ich noch ein kleines Zitat aus seiner Schrift „Ueber die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde“ nach:

Ueberhaupt wird der ächte Philosoph überall Helle und Deutlichkeit suchen, und stets bestrebt seyn, nicht einem trüben, reißenden Regenbach zu gleichen, sondern vielmehr einem Schweizer See, der, durch seine Ruhe, bei großer Tiefe große Klarheit hat, welche eben erst die Tiefe sichtbar macht.

Was für ein wunderbarer Vergleich! Und wie vermißt man heute beim Denken und Sprechen unserer Intellektuellen (beides gehört ja unauflösbar zusammen!) diese Tiefe und Klarheit eines Schweizer Sees! Eines nämlich gilt vom Philosophen bis hinunter zum Journalisten: wer dunkel und unverständlich schreibt, hat vorher auch nur dunkel und oberflächlich nachgedacht. Zu beobachten ist dieses gewollt Dunkle übrigens immer öfter in den großen Zeitungen, selbst im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen, wo man bei manchem Artikel von Reents oder Bahners selbst nach sorgfältigem Lesen immer noch nicht weiß, „was der Dichter damit sagen wollte“ – und das in einer Redaktion, der einmal mit Marcel Reich-Ranicki ein Meister der „Helle und Deutlichkeit“ angehört hat. Daß Tiefe im Denken und Klarheit im Ausdruck zusammengehören, merkt man umgekehrt auch da, wo es an beidem fehlt.

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Schmerzen, Quaalen und ein Philosoph

Ich habe schon lange nicht mehr über jenen Philosophen berichtet, der mir der liebste ist: Arthur Schopenhauer. Er ist mir vor allem durch die kristallene Klarheit seiner Sprache ans Herz gewachsen – nur Kant ist ihm unter den deutschen Philosophen darin ebenbürtig. Aber hören wir einmal, was er selbst sagt (in seinem Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung):

Wenn man Jedem die entsetzlichen Schmerzen und Quaalen, denen sein Leben beständig offen steht, vor die Augen bringen wollte; so würde ihn Grausen ergreifen: und wenn man den verstocktesten Optimisten durch die Krankenhospitäler, Lazarethe und chirurgische Marterkammern, durch die Gefängnisse, Folterkammern und Sklavenställe, über Schlachtfelder und Gerichtsstätten führen, dann alle die finstern Behausungen des Elends, wo es sich vor den Blicken kalter Neugier verkriecht, ihm öffnen und zum Schluß ihn in den Hungerthurm des Ugolino blicken lassen wollte; so würde sicherlich auch er zuletzt einsehn, welcher Art dieser meilleur des mondes possibles ist. Woher denn anders hat Dante den Stoff zu seiner Hölle genommen, als aus dieser unserer wirklichen Welt? Und doch ist es eine recht ordentliche Hölle geworden. Hingegen als er an die Aufgabe kam, den Himmel und seine Freuden zu schildern, da hatte er eine unüberwindliche Schwierigkeit vor sich; weil eben unsere Welt gar keine Materialien zu so etwas darbietet.

Er sei ein Philosoph des Pessimismus, hat man oft gesagt, aber das stimmt nicht. Er hat nur keinerlei Rücksicht auf den Geist seiner Zeit genommen – schon gar nicht auf den seichten Optimismus des damaligen Christentums. Ich kann nur jedem empfehlen, ihn im Original zu lesen, gute und preiswerte Ausgaben gibt es genug. Nur bitte nicht für wahr halten, was in Philosophiegeschichten u.ä. über ihn geschrieben wird – da wimmelt es nur so von Fehlern, Einseitigkeiten und Entstellungen. Was Schopenhauer über die Kantlektüre schreibt, das gilt auch für ihn selbst, und jeder unbefangene Leser kann diese Erfahrung machen: daß Kant nämlich wie Schopenhauer

ins Besondere geht, und zwar in einer Weise, die weder Vorbild noch Nachbild kennt und eine ganz eigenthümliche, man möchte sagen unmittelbare Wirkung auf den Geist hat, in Folge welcher dieser eine gründliche Enttäuschung erleidet und fortan alle Dinge in einem andern Lichte erblickt.

Dann ist man auch gefeit davor, daß man

seine Zeit mit den Philosophemen gewöhnlicher, also unberufener Köpfe, oder gar windbeutelnder Sophisten, die man ihm unverantwortlicherweise anpries, vergeudet hat. Daher die Verworrenheit in den ersten Begriffen und überhaupt das unsäglich Rohe und Plumpe, welches aus der Hülle der Pretiosität und Prätensiosität, in den eigenen philosophischen Versuchen des so erzogenen Geschlechts, hervorsieht. Aber in einem heillosen Irrthum ist Der befangen, welcher vermeint, er könne Kants Philosophie aus den Darstellungen Anderer davon kennen lernen. Vielmehr muß ich vor dergleichen Relationen, zumal aus neuerer Zeit, ernstlich warnen. (…) Wie sollten auch die schon in frischer Jugend durch den Unsinn der Hegelei verrenkten und verdorbenen Köpfe noch fähig seyn, Kants tiefsinnigen Untersuchungen zu folgen? Sie sind früh gewöhnt, den hohlsten Wortkram für philosophische Gedanken, die armsäligsten Sophismen für Scharfsinn, und läppischen Aberwitz für Dialektik zu halten, und durch das Aufnehmen rasender Wortzusammenstellungen, bei denen etwas zu denken der Geist sich vergeblich martert und erschöpft, sind ihre Köpfe desorganisirt.

Schopenhauer ist ein Philosoph, der auch da, wo er irrt oder von Vorurteilen getrieben wird, im höchsten Maße lesenswert ist. Ein andermal vielleicht mehr über ihn.

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Der lange Marsch des Feminismus durch die Institutionen (1): Kathrin Kunkel-Razum, Chefin der DUDEN-Redaktion

Der „lange Marsch durch die Institutionen“, den Rudi Dutschke 1967 den revolutionären Studenten ans Herz gelegt hat, war ein Fehlschlag; nur ein paar Rechtspopulisten glauben heute noch an seinen Erfolg. Die meisten Revoluzzer von damals sind gute, oft sogar konservative Bürger geworden, die radikaleren unter ihnen haben sich allenfalls bei den Grünen eingeschrieben.

Den Marsch durch die Institutionen haben sich inzwischen ganz andere vorgenommen, und mit viel größerem Erfolg: die feministischen Netzwerke. Zuerst kaum beachtet und eher als unbedeutende Randgruppe belächelt, sind sie langsam in Universitäten, Verwaltungen und Parteien eingesickert und haben inzwischen viele Machtpositionen erobert. Eine davon ist der Chefredaktion im Hause Duden. Dort residiert seit 2016 Kathrin Kunkel-Razum. Sie hat sich von Anfang an darum bemüht, das Gendern in der Dudenredaktion durchzusetzen. Schon ein Jahr nach ihrer Ernennung hat der Duden den Ratgeber „Richtig gendern“ veröffentlicht. Und in einem Interview mit dem Spiegel warb sie 2018 für das Gendersternchen, und zwar ausdrücklich mit Hinweis auf die Genderideologie:

Es bildet mehr als zwei Geschlechter ab und löst damit die Binarität auf. Deshalb ist es meiner Interpretation nach auch populär geworden. Das macht das Binnen-I zum Beispiel nicht, da sind bloß zwei Geschlechtskategorien enthalten.

„Bloß zwei Geschlechtskategorien“ – der normale Genderquark also. Ist da in der Dudenredaktion niemand hellhörig geworden? Oder war da jeder Widerstand, womöglich durch eine kluge Personalpolitik, schon unmöglich geworden?

Jeder weiß, wie wichtig Sprache ist: Wir drücken unsere Persönlichkeit darüber aus und unsere Welt. Und dann kommt vermeintlich jemand und sagt: „Ab jetzt musst du das anders machen.“ Wenn Dinge, die einem so selbstverständlich sind, ins Wanken geraten, ruft das eine fundamentale Verunsicherung hervor. Es geht auch darum, Macht abzugeben.

Und als die SPIEGEL-Interviewerin nachfragt: „Männer müssen Macht abgeben?“, ist die Antwort von Kunkel-Razum eindeutig: „Genau.“

Da hat man beim Duden den Bock zum Gärtner gemacht. Wie im ganzen Neofeminismus dreht sich auch im Hause Duden jetzt alles nur noch um die Geschlechter. Sprache, Kultur, Geschichte, Tradition – das ist alles nichts. Die Frauen – das sagt, wohlgemerkt, die Chefin der Dudenredaktion – „kann man wahnsinnig gut verstecken im generischen Maskulinum“.

Kurz vorher hatte das Bundesverfassungsgericht die Klage einer Frau abgewiesen, die ausdrücklich als „Kundin“ (und nicht als „Kunde“) angeredet werden wollte. Kathrin Kunkel-Razum: „Wir haben über das Urteil den Kopf geschüttelt“.

Kathrin Kunkel-Razum ist nach einem langen Marsch durch die Institutionen am Ziel angelangt. Sie hat Macht, große Macht. Aber die haben wir auch. Laßt uns diese Macht gemeinsam einsetzen – gegen den totalitären Anspruch einer kleinen radikalen Minderheit, die aus unserer schönen Sprache ein absurdes, von der ganzen Welt verlachtes Gestottere machen will. Jeder kann da mithelfen: indem er selbst in gutem Deutsch schreibt (das vor allem!), keine Parteien wählt, die das Gendern befürworten – und auch, indem er den Aufruf „Rettet die deutsche Sprache vor dem Duden!“ hier unterschreibt.

PS: Zum Dudenbüchlein „Richtig gendern“ schreibt eine ideologisch korrekte Gießenerin:

Das Buch verengt seine Sicht auf ein binäres Geschlechtersystem, und ist damit im tatsächlichen wie auch rechtlichen Sinne bereits überholt und wenig hilfreich.

Die Revolution frißt ihre Kinder!

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