Gibt es etwas Vollkommeneres auf Erden als eine „junge Frau mit Migrationsgeschichte“?

Nein, sagen die Grünen. Deshalb haben sich auf der Landesdelegiertenversammlung der Berliner Grünen skurrile Szenen abgespielt, die man nur – aber lesen Sie selbst!

Auf den ersten zehn Listenplätzen findet man – „natürlich“ – sieben Frauen. Man wundert sich eher, daß es drei Personen männlichen Geschlechts auf die Liste geschafft haben. Aber die hatten es nicht leicht. Der Mann Philip Alexander Hiersemenzel zum Beispiel, der partout einer menstruierenden Person den Listenplatz streitig machen wollte, mußte sich einem peinlichen Verhör durch die Delegierten unterziehen (hier nachzulesen):

Warum glaubst du, bist du besser als eine junge Frau mit Migrationsgeschichte?

Eine vergiftete Frage! Da hilft nur, sich als Mann ganz, ganz klein zu machen. Deshalb seine Antwort:

Bin ich nicht. Null. Nada. Das Einzige, was ich anbieten kann, ist meine Expertise und mein Herzblut.

Ach jehchen! Er ist klein, sein Herz ist rein, muß wohl voll von Herzblut sein. Gegen eine „junge Frau mit Migrationsgeschichte“ hat der arme Mann natürlich kaum Chancen. Aber wenn wir das einmal weiterdenken, dann steht eine alte Frau ohne Migrationsgeschichte im grünen Kastenwesen genauso schlecht da wie ein Mann. Der Makel „Mann“ wiegt natürlich schwerer. Aber selbst eine Traumkandidatin, die jung und weiblich ist und einen Migrationshintergrund hat, kann noch verdrängt werden – wenn nämlich eine Konkurrentin zu alledem noch darauf verweisen kann, daß sie queer ist. Das schlägt alles! Es ist wie der Royal Flush beim Pokern.

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Der lange Marsch des Feminismus durch die Institutionen (2): Katja Thorwarth und die Frankfurter Rundschau

Die Frankfurter Rundschau (FR) war einmal eine der besten liberalen Tageszeitungen in Deutschland. Mit ihr verbindet man so große Namen des Journalismus wie Karl Gerold, Karl-Hermann Flach, Werner Holzer und Roderich Reifenrath. Doch irgendwann sank die Auflage, das Blatt ging von Hand zu Hand, gehörte erst der SPD, dann dem DuMont-Verlag und wurde immer weiter saniert und „gesundgeschrumpft“. Heute befindet es sich im Besitz der Zeitungsholding Hessen, die wiederum Teil der verschachtelten Ippen-Gruppe ist. Zu ihr gehört ein Sammelsurium von kleinen und großen Zeitungen – vom Münchner Merkur über die Kreiszeitung Syke bis zur Offenbach-Post.

Eine solche Zeitung eignet sich, wenn das stabile Fundament einmal zerstört ist, ganz wunderbar für ideologische Einwanderungen jeder Art. Nehmen wir nur einmal Katja Thorwarth, auf die ich durch ihren gestrigen Artikel in der Online-Ausgabe der FR aufmerksam geworden bin. Sein Titel (hier nachzulesen):

Dieter „Nuhr im Ersten“ (ARD): Sexismus gegen „Mutti“-Merkel und Hetze gegen die Grünen.

Diese Kolumne firmiert zwar unter „TV-Kritik“, ist aber, wenn man genauer hinsieht, nur eine plumpe Beschimpfung eines Andersdenkenden. Der Kabarettist Dieter Nuhr ist längst zu einem Haßobjekt in linken, grünen und islamistischen Kreisen geworden. Wie kommt es, daß er den Unmut so unterschiedlicher politischer Milieus auf sich zieht? Die Antwort ist ganz einfach, aber wir wollen erst einmal hören, was für „Argumente“ Frau Thorwarth anführt.

Erstens: Nuhr, so schreibt sie, betreibe „sexistisches Merkel-Bashing“. Ich habe mir die Sendung noch einmal angesehen und muß sagen: da ist nicht ein Hauch von Bashing oder Sexismus. Nichts, gar nichts, kein einziges Wort! Es sei denn – ja, es sei denn, schon die Bemerkung, daß Merkel eine Frau sei, Laschet aber nicht, wäre Sexismus. Oder es ist schon sexistisch, wenn ein Mann über Frauen redet. Das geht gar nicht, nur Frauen dürfen über Frauen reden! Und nur Übersetzer mit dunkler Hautfarbe dürfen Gedichte von Autoren mit dunkler Hautfarbe übersetzen!

Zweitens: sechs Wochen lang, erzählt Katja Thorwarth, habe bei ihr Nuhr auf dem Index gestanden, denn sie wollte nicht „versehentlich reinzappen“, jetzt sei es aber doch passiert:

Dieter Nuhr mit Verachtung zu strafen, ist inhaltlich konkret, darf aber nicht verwechselt werden mit der von Nuhr herbeiphantasierten „Cancel Culture“.

Das ist nicht nur ein Deutsch („inhaltlich konkrete Verachtung“), wie man es früher nicht einmal einem Volontär hätte durchgehen lassen. Der Satz endet auch in einer dreisten Lüge. Daß die „Cancel Culture“, also die Ausgrenzung und Beschimpfung von Andersdenkenden, ihr Ausschluß von akademischen Veranstaltungen, Podiumsgesprächen usw. an Universitäten heute nicht gängige Praxis des linken, grünen und feministischen Lagers sei, sondern – man höre und staune! – „von Nuhr herbeiphantasiert“ werde, das so schwarz auf weiß hinzuschreiben, zeugt von einer mit Realitätsverweigerung einhergehenden ideologischen Borniertheit.

Dann folgt der Vergleich von „Nuhr im Ersten“ mit der „Sendung mit der Maus“, und man wird lange (und vergeblich) rätseln, was die Kolumnistin damit sagen will. Zu den Themen Impfung und Volkspartei schreibt sie:

Das triggert aktuell jede, und wenn es noch an ein Merkel-Bashing – „Mutti“ – gekoppelt wird, ist das die Nummer. Oder auch nicht, weil, sorry, das ist voll 2016. Oder 2014. Egal. Es ist in jedem Fall völlig weg aus der Ist-Zeit. Weil es nicht um „Mutti“ Angela Merkel geht und auch nie ging. Das ist schlicht sexistisch, und damit solltet ihr Typen endlich mal klarkommen. Reden wir doch mal über die Papis der Union. Wo bleibt da die Kritik, Herr Nuhr. Alles brav allgemein gehalten, weil es ja die böse „Mutti“ gibt.

Je mehr sich Katja Thorwarth erregt, umso mehr verfällt sie in den Jargon von pubertierenden Jugendlichen, den sie offenbar beim Erwachsenwerden nicht abgelegt hat. Und ohne Beschimpfung („ihr Typen“) geht da bei der Frau Redakteurin gar nichts mehr.

Die Grünen seien der eigentliche Feind Dieter Nuhrs, schreibt sie, und weiter:

Denn – gähn – die Grünen sind eine „Verbotspartei“, die jetzt potentiell alle Einfamilienhäuser wegsprengt. Und Fortbewegung wollen sie den „Deutschen“ also auch noch madig machen? Männo.

Wieder die Regression ins pubertäre Schimpfen. Und dann:

Aber Nuhrs Herz-Thema kommt erst noch: das Gendern. Warum hat ein Mensch, der sich selbst als liberal bezeichnet, ein solch penetrantes Problem mit sprachlicher Veränderung? Ist es wirklich so billig, dass selbst ernannte „alte weißer Männer“(D.N.) nicht damit klarkommen, linguistisch nicht im Mittelpunkt zu stehen?

Fazit: Dieter Nuhr schießt sich auf die Grünen ein und langweilt mit seiner Dauerignoranz, dahingehend, dass sich Sprache gesellschaftlich-emanzipatorischen Entwicklungen anpasst. Aber solange Frauen die Pille nehmen, behält Nuhr auch seinen Sendeplatz.

Hier endet die Kanonade, die immerhin eines zeigt: wie heruntergekommen – sprachlich und intellektuell – die Frankfurter Rundschau heute ist. Man kann nur wehmütig und mit einem weinenden Auge an die Zeit zurückdenken, als sie noch eine der besten deutschen Tageszeitungen war.

PS: Daß Dieter Nuhr den Haß aller extremen und in totalitären Denkstrukturen verhafteten politischen Lager auf sich zieht, ist ganz einfach zu erklären. Er vertritt hartnäckig das, was man in England den common sense nennt. Ideologen aber brauchen immer einen Feind. Sie beschimpfen sich zwar gegenseitig (Antifa! Nazis!), aber ihr eigentlicher Feind ist der kluge, pragmatische und für Kompromisse offene Demokrat in der Mitte der Gesellschaft.

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Das Zitat des Tages – diesmal von Dieter Nuhr

In einem Interview mit der Wiener Zeitung (hier nachzulesen) sagte der Kabarettist Dieter Nuhr auf die Frage, wie er mit Shitstorms umgehe:

Ich empfinde kollektive Blödheit leider oft als persönliche Beleidigung. Mein Fehler. Viele Leute reden von Schwarmintelligenz. Ich glaube: Ein Schwarm ist meist nur so schlau wie sein dümmstes Mitglied. Und ein Hirntoter ist immer dabei.

Der Shitstorm ist die moderne Form des Prangers. Insofern führt uns ausgerechnet das Internet zurück ins Mittelalter. Beim Shitstorm geht es wie damals nicht um argumentative Auseinandersetzung, sondern um die Züchtigung des Einzelnen durch die erregte Masse. Also um Triebbefriedigung. So etwas erledigte der Deutsche 1939 noch in der realen Welt, heute nur noch digital. Insofern ist das Internet ein Fortschritt.

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Wer hat das geschrieben? Ein Rätsel für meine Leser

Heute soll es einmal ein Rätsel sein, aber keine Angst, das Rätsel wird am Ende des Beitrags gelöst. Es geht um ein Werk, das so beginnt:

Rings um das mannigfaltig gegliederte Binnenmeer, das tief einschneidend in die Erdfeste den größten Busen des Ozeans bildet und, bald durch Inseln oder vorspringende Landfesten verengt, bald wieder sich in beträchtlicher Breite ausdehnend die drei Teile der alten Welt scheidet und verbindet, siedelten in alten Zeiten Völkerstämme sich an, welche, ethnographisch und sprachgeschichtlich betrachtet, verschiedenen Rassen angehörig, historisch ein Ganzes ausmachen. Dies historische Ganze ist es, was man nicht passend die Geschichte der alten Welt zu nennen pflegt, die Kulturgeschichte der Anwohner des Mittelmeers, die in ihren vier großen Entwickelungsstadien an uns vorüberführt die Geschichte des koptischen oder ägyptischen Stammes an dem südlichen Gestade, die der aramäischen oder syrischen Nation, die die Ostküste einnimmt und tief in das innere Asien hinein bis an den Euphrat und Tigris sich ausbreitet, und die Geschichte des Zwillingsvolkes der Hellenen und der Italiker, welche die europäischen Uferlandschaften des Mittelmeers zu ihrem Erbteil empfingen.

Na, wer weiß es? Die beiden Sätze (es sind wirklich nur zwei!) sind natürlich für den heutigen Leser eine Zumutung, kaum einer unserer Abiturienten, deren Atem nur noch für kurze Sätze reicht, wird auch nur einen von ihnen beim ersten Lesen überblicken, und ein zweites Lesen wird er sich nicht antun.

Hier ist noch eine zweite Kostprobe, die es vielleicht ein bißchen leichter macht, auf Autor und Werk zu kommen; es stammt aus dem Kapitel „Glaube und Sitte“:

In strenger Bedingtheit verfloß dem Römer das Leben und je vornehmer er war, desto weniger war er ein freier Mann. Die allmächtige Sitte bannte ihn in einen engen Kreis des Denkens und Handelns und streng und ernst oder, um die bezeichnenden lateinischen Ausdrücke zu brauchen, traurig und schwer gelebt zu haben war sein Ruhm. Keiner hatte mehr und keiner weniger zu tun als sein Haus in guter Zucht zu halten und in Gemeindeangelegenheiten mit Tat und Rat seinen Mann zu stehen. Indem aber der einzelne nichts sein wollte noch sein konnte als ein Glied der Gemeinde, ward der Ruhm und die Macht der Gemeinde auch von jedem einzelnen Bürger als persönlicher Besitz empfunden und ging zugleich mit dem Namen und dem Hof auf die Nachfahren über; und wie also ein Geschlecht nach dem andern in die Gruft gelegt ward und jedes folgende zu dem alten Ehrenbestande neuen Erwerb häufte, schwoll das Gesamtgefühl der edlen römischen Familien zu jenem gewaltigen Bürgerstolz an, dessen gleichen die Erde wohl nicht wieder gesehen hat und dessen so fremd- wie großartige Spuren, wo wir ihnen begegnen, uns gleichsam einer anderen Welt anzugehören scheinen.

Wer sich einmal eingehender mit dem alten Rom beschäftigt hat, weiß jetzt natürlich, um welches Werk es sich handelt: die „Römische Geschichte“ von Theodor Mommsen. Der große Historiker und Altertumswissenschaftler des 19. Jahrhunderts hat dafür 1902, kurz vor seinem Tod, den Nobelpreis für Literatur erhalten – eine seltene, aber hochverdiente Auszeichnung für einen Historiker. Man muß das gewaltige Werk übrigens nicht von vorn bis hinten durchlesen; es ist schon ein geistiges Vergnügen, sich hin und wieder ein Kapitel vorzunehmen. Und ein teures Vergnügen ist es auch nicht, die kompletten acht Bände bekommt man antiquarisch schon für gut 30 Euro.

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Gestern waren überall Wahlhelfende und Wahlhelfer:innen zugange!

Jedenfalls in Hessen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Die Frankfurter Rundschau, die einmal eine solide, liberale Tageszeitung war (ich erinnere an ihren langjährigen Chefredakteur Karl Gerold!), heute aber nur noch Wachs in den Händen jeder neuen linken Sprachdummheit ist, schreibt in ihrer Online-Ausgabe heute folgendes (hier nachzulesen):

Dubioses Schreiben an Walhhelfende aufgetaucht.

Wahlhelfende! Im Text selbst sind aus den Walhelfenden dann Wahlhelfer:innen geworden – ein Unwort schlimmer als das andere. Ein Journalist, der bei der Zerstörung der deutschen Sprache aus niedrigen Beweggründen (Ideologie!) Beihilfe leistet, statt die Sprache zu pflegen und zu bewahren, hat seinen Beruf verfehlt.

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Suhrkamp hat jetzt einen Hauslyriker

Jakob Nolte hat im Suhrkamp-Verlag einen neuen Roman veröffentlicht. Er heißt „Kurzes Buch über Tobias“ – aber um ihn soll es hier nicht gehen. Es geht eher darum, wie der Verlag seinen neuen Autor bewirbt. In einer tiefroten Anzeige in der Literaturbeilage der F.A.Z. stehen neben dem Cover des Buches nur zwei Sätze. Der eine:

Jede Biographie ist ein Evangelium.

Ein in seiner Allgemeingültigkeit eher zweifelhafter Satz. Meine Biographie jedenfalls ist kein Evangelium. Ich kenne auch niemanden in meinem Umfeld, dessen Biographie man als frohe Botschaft bezeichnen könnte. Bezieht sich der Satz also auf den Roman? Lesen wir dazu, was Suhrkamp über das Buch seines neuen Autors schreibt (hier nachzulesen):

Kurzes Buch über Tobias beschreibt in achtundvierzig Kapiteln das Leben des Schriftstellers, Pfarrers und Televangelisten Tobias Becker. Er wuchs in Niedersachsen auf und lebt in Berlin, spielt gern Tischtennis und will das Gute. Auf einer Reise nach Belgrad verliebt er sich in einen Mann namens Tobias und bekehrt sich zu Gott. Er wird Zeuge, wie Menschen zu Hasen werden, sich Liebe in Hass verwandelt und ein Flugzeug in den Alpen verbrennt. Wie viele Männer wähnt er einen Messias in sich. In Tobias Beckers Welt ist alles unausweichlich miteinander verwoben: Familie, Glauben, Subjekt und Gewalt. Es ist eine Welt voller Alpträume und Wunder.

Der Roman hätte, wie man sieht, auch Eine kurze Geschichte von fast allem heißen können – aber dieser Titel ist ja schon vergeben.

Wie soll man nun, von der Handlung abgesehen, den Roman in seiner Bedeutung für die deutsche Literatur einschätzen? Dazu lesen wir bei Suhrkamp folgendes:

Jakob Noltes neuer Roman ist eine moderne Heiligenerzählung, ein mystisches Rätsel. Er handelt von der Einsamkeit in der Heimat und der Verlorenheit in den Städten, von Allmacht und großer Unsicherheit, Spiritualität und dem Internet, der Sehnsucht nach Zugehörigkeit und dem Streben nach Sinn. Er wirft alle Vorstellungen von biografischem oder autofiktionalem Schreiben über den Haufen und lotet auf einzigartige Weise den Reichtum der Literatur aus: Erzählen voller Witz und Wissen, voller Romantik, Traurigkeit und funkelndem Humor.

Es ist, mir jedenfalls, ein mystisches Rätsel, wie der Mitarbeiter eines (immer noch) renommierten Verlags solche Sätze aufs Papier bringen kann. Oder hat man bei Suhrkamp jetzt einen Hauslyriker angestellt? Stellenbeschreibung: muß Fähigkeiten im hymnischen Stil besitzen?

Aber in der roten Verlagsanzeige steht noch ein zweiter Satz:

Mit Kurzes Buch über Tobias schreibt Jakob Nolte die Literatur auf einen neuen Nullpunkt zu.

Es ist ein Zitat von Lisa Kreißler vom NDR, das der Verlag offenbar für werbewirksam hält. Mir sind freilich Bücher lieber, in denen der Autor zu einem neuen Höhepunkt der Literatur, und nicht zu deren Nullpunkt, strebt. Aber ich bin halt nur ein alt(modisch)er weißer Mann. Ich wähne ja nicht einmal – „wie viele Männer“ – einen Messias in mir!

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Fundstücke aus einem alten Duden (3): „Kolospinthechromokrene“

An dieser Stelle berichte ich in unregelmäßigen Abständen von Wörtern, wie man sie nur in alten Büchern findet – in diesem Fall in einer Ausgabe von Dudens „Orthographischem Wörterbuch der deutschen Sprache“ (8. Auflage 1908).

„Kalospinthechromokrene“ – was für ein Wortungetüm! Es paßt nicht einmal in eine Spalte des dreispaltig gedruckten Duden. Im Wörterbuch der Brüder Grimm findet man es noch nicht, und doch wurde dieser Zungenbrecher 1908 für würdig befunden, in den Duden, also in ein Wörterbuch der deutschen Sprache, aufgenommen zu werden. „Springquelle“, das nur nebenbei, ist ein altes, heute kaum noch gebrauchtes Wort für „Springbrunnen“.

Im Kleinen Konversations-Lexikon von Brockhaus (5. Auflage 1906) lautet der Eintrag ähnlich:

Kalospinthechromokrene (grch.), künstlich mit wechselnden Farben beleuchteter Springbrunnen.

Und auch Meyers Großes Konversations-Lexikon von 1905 bringt einen ähnlichen Eintrag, ergänzt durch den Versuch einer wörtlichen Übersetzung:

Kalospinthechromokrene (griech., »Schönfunkenfarbenquelle«), ein künstlich beleuchteter und dadurch in schönen Farben funkelnder Springbrunnen.

Auch in der Romanliteratur des 19. Jahrhunderts findet sich das Wort hin und wieder, z.B. bei dem Schweizer Schriftsteller Joseph Viktor Widmann (1842-1911). Einer epischen Dichtung gab er 1872 unter dem Pseudonym Lodovico Ariosto Helvetico den Titel

Kalospinthechromokrene oder der Wunderbrunnen von Is. Ein „Ritt in’s alte romantische Land“ mit manchen Rösselsprüngen in die modernste Gegenwart. Ausgeführt als epische Dichtung in zwölf Gesängen.

In Karl Mays Erzählung Der Sohn des Bärenjägers zeigt Winnetou seinen Begleitern ein seltenes Naturschauspiel – eine Wassersäule, die an die 50 Fuß in den Himmel steigt:

Gerade hinter diesem Wunderwerke der Natur trat die Uferwand zurück und bildete einen tief ausgeschnittenen Felsenkessel, auf dessen hinterem Rande scheinbar die untergehende Sonne lag. Ihre Strahlen fielen auf die Wassersäule, welche dadurch als eine geradezu unbeschreibliche Kalospinthechromokrene in den herrlichsten Farben leuchtete und brillierte.

Auch in seinem Roman Der Schatz im Silbersee taucht das Wort auf. Dort läßt Karl May eine seiner Romanfiguren sagen, daß nur die Sachsen an der Elbe echte Sachsen seien. Moritzburg und Perne, heißt es da, seien die „Mittelpunkte aller kalospinthechromokrenen Größe“.

Der Schriftsteller Albert Hopf veröffentlichte 1868 ein Buch mit dem langen Titel

Deklamations-Kalospinthechromokrene
enthaltend: Feuergarben des Witzes, Leuchtkugeln des Humors, Raketen der guten Laune, Kanonenschläge der ausgelassensten Heiterkeit und des Frohsinns.

Auch in der Musikgeschichte begegnet uns das Wort. Der österreichische Komponist Carl Michael Ziehrer komponierte 1867 eine „Polka francaise für Pianoforte“ mit dem Titel „Die Wunderfontaine (Kalospinthechromokrene)“.

Unter den Vorführungen des „funkelnden Springbrunnens“ im Theater waren offenbar die von Tschuggmall und Bergheer besonders beliebt. Es war ein buntes Programm, mit dem die kleine Truppe durch halb Europa zog. Joseph Tschuggmall (1785-1845) steuerte „Automaten“ bei (einige sind hier zu sehen), nach seinem Tod setzte seine Tochter die Theatervorführungen fort. Ludwig Bergheer, der einmal als Magier, dann wieder als Physiker und Mechaniker bezeichnet wird, kam später dazu und führte allerlei Zauberkunststücke auf, vermutlich auch, wie aus der Zeitungsannonce im Laibacher Tagblatt von 1872 (rechts) zu lesen ist, die „Brillant-Fontaine, beleuchtet durch das elektrische Licht“.

Ach, wenn man in alten Wörterbüchern stöbert, kommt man vom Hundertsten ins Tausendste! Aber wir wollen dem ein Ende machen – mit einem „Couplet-Scherz“ von Paul Hübner, der so beginnt:

Ein Wort, das früher man nicht kannte,
Man erst in neu’rer Zeit ersann,
Kein Wörterbuch ’s bis dahin nannte,
Das heut geläufig Jedermann –
Bedeuten soll es, wie man munkelt,
Ein schönes Trugbild auf der Szene,
’s zeigt prächtig sich, sobald es dunkelt,
Als Kalospinthechromokrene!

PS: Den fast unaussprechlichen Namen soll übrigens ein gewisser Friedrich Gottlieb Großkopf erfunden haben, der in Berlin das erste Café-Chantant gegründet hatte. Er gab ihm später den Namen „Walhalla“.

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„Mord mit Aussicht“ mit neuen Schauspielern? Nein, danke!

„Mord mit Aussicht“, eine der besten Unterhaltungsserien der ARD in den letzten ein, zwei Jahrzehnten, schon vor längerer Zeit eingestellt, weil die Schauspieler die immer kürzeren Drehzeiten pro Folge nicht mehr hinnehmen wollten, soll also mit neuen Schauspielern wiederaufgenommen werden. Wer die Serie kennt, den graust es schon bei dem Gedanken daran.

Das Polizeirevier von Hengasch ohne Sophie Haas (Caroline Peters), Dietmar Schäffer (Bjarne Mädel) und Bärbel Schmied (Meike Droste) – das ist einfach undenkbar, es ist ein Frevel, eine Zumutung. Auch wenn die neuen Schauspieler sich redlich abmühen, man wird dabei immer nur das Verlorene im Kopf haben: Schäffers „Mann, Mann, Mann!“ (wenn mehr als ein Telefonat am Tag zu führen war), Bärbels verträumten Blick – und natürlich „die Frau Haas“, gespielt von der großartigen Caroline Peters.

Nein, so eine „Fortsetzung“ mögen sich andere ansehen, ich nicht. Da würde mir nur wehmütig ums Herz. Lieber mit Freude und Dankbarkeit zurückdenken an ein Stück großartiges Fernsehen, das so vergänglich ist wie alles im Leben.

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Sprachliches Absurdistan in der Frankfurter Rundschau: „Freier“ sind jetzt „Sexkund:innen“

In einem Artikel über das weitgehende Prostitutionsverbot in Frankreich und seine Folgen liest man Befremdliches:

Viele der „respektvolleren“ Sexkund:innen hätten sich aus Sorge vor Strafen zurückgezogen, berichten sie. Rund 42 Prozent der Sexarbeiter:innen seien nun deutlich mehr Gewalt ausgesetzt. Rund 70 Prozent der Befragten konnte auch keine Verbesserung der Beziehung zur Polizei erkennen. Im Gegenteil: Viele der migrantischen Sexarbeiter:innen fühlten sich gezwungen, ihre verbliebenen Kund:innen anzuzeigen – aus Sorge vor Abschiebung.

Ach, früher war alles so einfach – da ist ein Freier zu einer Prostituierten gegangen. Heute geht ein(e) Sexkund*in zu einer/m Sexarbeiter*in. Was sie dann miteinander treiben, ist zwar dasselbe wie in den tausend Jahren zuvor, aber sie treiben es jetzt wenigstens in gerechter Sprache!

Was ich freilich zur vollen sprachlichen Gerechtigkeit noch vermisse, sind Pädophil:innen, Haßprediger*innen und Mörder_innen. Warum hört man so wenig von ihnen? Ich weiß es nicht. Auch Diktator*innen und Folter*er/innen sind dünn gesät. Aber keine Sorge, das kommt alles noch!

Bei soviel Gerechtigkeit könnte man mit Hutten ausrufen:

O saeculum! O iustitia! Iuvat vivere!

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Wonach der ächte Philosoph sucht

Da wir schon einmal bei Schopenhauer sind, reiche ich noch ein kleines Zitat aus seiner Schrift „Ueber die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde“ nach:

Ueberhaupt wird der ächte Philosoph überall Helle und Deutlichkeit suchen, und stets bestrebt seyn, nicht einem trüben, reißenden Regenbach zu gleichen, sondern vielmehr einem Schweizer See, der, durch seine Ruhe, bei großer Tiefe große Klarheit hat, welche eben erst die Tiefe sichtbar macht.

Was für ein wunderbarer Vergleich! Und wie vermißt man heute beim Denken und Sprechen unserer Intellektuellen (beides gehört ja unauflösbar zusammen!) diese Tiefe und Klarheit eines Schweizer Sees! Eines nämlich gilt vom Philosophen bis hinunter zum Journalisten: wer dunkel und unverständlich schreibt, hat vorher auch nur dunkel und oberflächlich nachgedacht. Zu beobachten ist dieses gewollt Dunkle übrigens immer öfter in den großen Zeitungen, selbst im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen, wo man bei manchem Artikel von Reents oder Bahners selbst nach sorgfältigem Lesen immer noch nicht weiß, „was der Dichter damit sagen wollte“ – und das in einer Redaktion, der einmal mit Marcel Reich-Ranicki ein Meister der „Helle und Deutlichkeit“ angehört hat. Daß Tiefe im Denken und Klarheit im Ausdruck zusammengehören, merkt man umgekehrt auch da, wo es an beidem fehlt.

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