Schmerzen, Quaalen und ein Philosoph

Ich habe schon lange nicht mehr über jenen Philosophen berichtet, der mir der liebste ist: Arthur Schopenhauer. Er ist mir vor allem durch die kristallene Klarheit seiner Sprache ans Herz gewachsen – nur Kant ist ihm unter den deutschen Philosophen darin ebenbürtig. Aber hören wir einmal, was er selbst sagt (in seinem Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung):

Wenn man Jedem die entsetzlichen Schmerzen und Quaalen, denen sein Leben beständig offen steht, vor die Augen bringen wollte; so würde ihn Grausen ergreifen: und wenn man den verstocktesten Optimisten durch die Krankenhospitäler, Lazarethe und chirurgische Marterkammern, durch die Gefängnisse, Folterkammern und Sklavenställe, über Schlachtfelder und Gerichtsstätten führen, dann alle die finstern Behausungen des Elends, wo es sich vor den Blicken kalter Neugier verkriecht, ihm öffnen und zum Schluß ihn in den Hungerthurm des Ugolino blicken lassen wollte; so würde sicherlich auch er zuletzt einsehn, welcher Art dieser meilleur des mondes possibles ist. Woher denn anders hat Dante den Stoff zu seiner Hölle genommen, als aus dieser unserer wirklichen Welt? Und doch ist es eine recht ordentliche Hölle geworden. Hingegen als er an die Aufgabe kam, den Himmel und seine Freuden zu schildern, da hatte er eine unüberwindliche Schwierigkeit vor sich; weil eben unsere Welt gar keine Materialien zu so etwas darbietet.

Er sei ein Philosoph des Pessimismus, hat man oft gesagt, aber das stimmt nicht. Er hat nur keinerlei Rücksicht auf den Geist seiner Zeit genommen – schon gar nicht auf den seichten Optimismus des damaligen Christentums. Ich kann nur jedem empfehlen, ihn im Original zu lesen, gute und preiswerte Ausgaben gibt es genug. Nur bitte nicht für wahr halten, was in Philosophiegeschichten u.ä. über ihn geschrieben wird – da wimmelt es nur so von Fehlern, Einseitigkeiten und Entstellungen. Was Schopenhauer über die Kantlektüre schreibt, das gilt auch für ihn selbst, und jeder unbefangene Leser kann diese Erfahrung machen: daß Kant nämlich wie Schopenhauer

ins Besondere geht, und zwar in einer Weise, die weder Vorbild noch Nachbild kennt und eine ganz eigenthümliche, man möchte sagen unmittelbare Wirkung auf den Geist hat, in Folge welcher dieser eine gründliche Enttäuschung erleidet und fortan alle Dinge in einem andern Lichte erblickt.

Dann ist man auch gefeit davor, daß man

seine Zeit mit den Philosophemen gewöhnlicher, also unberufener Köpfe, oder gar windbeutelnder Sophisten, die man ihm unverantwortlicherweise anpries, vergeudet hat. Daher die Verworrenheit in den ersten Begriffen und überhaupt das unsäglich Rohe und Plumpe, welches aus der Hülle der Pretiosität und Prätensiosität, in den eigenen philosophischen Versuchen des so erzogenen Geschlechts, hervorsieht. Aber in einem heillosen Irrthum ist Der befangen, welcher vermeint, er könne Kants Philosophie aus den Darstellungen Anderer davon kennen lernen. Vielmehr muß ich vor dergleichen Relationen, zumal aus neuerer Zeit, ernstlich warnen. (…) Wie sollten auch die schon in frischer Jugend durch den Unsinn der Hegelei verrenkten und verdorbenen Köpfe noch fähig seyn, Kants tiefsinnigen Untersuchungen zu folgen? Sie sind früh gewöhnt, den hohlsten Wortkram für philosophische Gedanken, die armsäligsten Sophismen für Scharfsinn, und läppischen Aberwitz für Dialektik zu halten, und durch das Aufnehmen rasender Wortzusammenstellungen, bei denen etwas zu denken der Geist sich vergeblich martert und erschöpft, sind ihre Köpfe desorganisirt.

Schopenhauer ist ein Philosoph, der auch da, wo er irrt oder von Vorurteilen getrieben wird, im höchsten Maße lesenswert ist. Ein andermal vielleicht mehr über ihn.

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