Fundstücke aus einem alten Duden (3): „Kolospinthechromokrene“

An dieser Stelle berichte ich in unregelmäßigen Abständen von Wörtern, wie man sie nur in alten Büchern findet – in diesem Fall in einer Ausgabe von Dudens „Orthographischem Wörterbuch der deutschen Sprache“ (8. Auflage 1908).

„Kalospinthechromokrene“ – was für ein Wortungetüm! Es paßt nicht einmal in eine Spalte des dreispaltig gedruckten Duden. Im Wörterbuch der Brüder Grimm findet man es noch nicht, und doch wurde dieser Zungenbrecher 1908 für würdig befunden, in den Duden, also in ein Wörterbuch der deutschen Sprache, aufgenommen zu werden. „Springquelle“, das nur nebenbei, ist ein altes, heute kaum noch gebrauchtes Wort für „Springbrunnen“.

Im Kleinen Konversations-Lexikon von Brockhaus (5. Auflage 1906) lautet der Eintrag ähnlich:

Kalospinthechromokrene (grch.), künstlich mit wechselnden Farben beleuchteter Springbrunnen.

Und auch Meyers Großes Konversations-Lexikon von 1905 bringt einen ähnlichen Eintrag, ergänzt durch den Versuch einer wörtlichen Übersetzung:

Kalospinthechromokrene (griech., »Schönfunkenfarbenquelle«), ein künstlich beleuchteter und dadurch in schönen Farben funkelnder Springbrunnen.

Auch in der Romanliteratur des 19. Jahrhunderts findet sich das Wort hin und wieder, z.B. bei dem Schweizer Schriftsteller Joseph Viktor Widmann (1842-1911). Einer epischen Dichtung gab er 1872 unter dem Pseudonym Lodovico Ariosto Helvetico den Titel

Kalospinthechromokrene oder der Wunderbrunnen von Is. Ein „Ritt in’s alte romantische Land“ mit manchen Rösselsprüngen in die modernste Gegenwart. Ausgeführt als epische Dichtung in zwölf Gesängen.

In Karl Mays Erzählung Der Sohn des Bärenjägers zeigt Winnetou seinen Begleitern ein seltenes Naturschauspiel – eine Wassersäule, die an die 50 Fuß in den Himmel steigt:

Gerade hinter diesem Wunderwerke der Natur trat die Uferwand zurück und bildete einen tief ausgeschnittenen Felsenkessel, auf dessen hinterem Rande scheinbar die untergehende Sonne lag. Ihre Strahlen fielen auf die Wassersäule, welche dadurch als eine geradezu unbeschreibliche Kalospinthechromokrene in den herrlichsten Farben leuchtete und brillierte.

Auch in seinem Roman Der Schatz im Silbersee taucht das Wort auf. Dort läßt Karl May eine seiner Romanfiguren sagen, daß nur die Sachsen an der Elbe echte Sachsen seien. Moritzburg und Perne, heißt es da, seien die „Mittelpunkte aller kalospinthechromokrenen Größe“.

Der Schriftsteller Albert Hopf veröffentlichte 1868 ein Buch mit dem langen Titel

Deklamations-Kalospinthechromokrene
enthaltend: Feuergarben des Witzes, Leuchtkugeln des Humors, Raketen der guten Laune, Kanonenschläge der ausgelassensten Heiterkeit und des Frohsinns.

Auch in der Musikgeschichte begegnet uns das Wort. Der österreichische Komponist Carl Michael Ziehrer komponierte 1867 eine „Polka francaise für Pianoforte“ mit dem Titel „Die Wunderfontaine (Kalospinthechromokrene)“.

Unter den Vorführungen des „funkelnden Springbrunnens“ im Theater waren offenbar die von Tschuggmall und Bergheer besonders beliebt. Es war ein buntes Programm, mit dem die kleine Truppe durch halb Europa zog. Joseph Tschuggmall (1785-1845) steuerte „Automaten“ bei (einige sind hier zu sehen), nach seinem Tod setzte seine Tochter die Theatervorführungen fort. Ludwig Bergheer, der einmal als Magier, dann wieder als Physiker und Mechaniker bezeichnet wird, kam später dazu und führte allerlei Zauberkunststücke auf, vermutlich auch, wie aus der Zeitungsannonce im Laibacher Tagblatt von 1872 (rechts) zu lesen ist, die „Brillant-Fontaine, beleuchtet durch das elektrische Licht“.

Ach, wenn man in alten Wörterbüchern stöbert, kommt man vom Hundertsten ins Tausendste! Aber wir wollen dem ein Ende machen – mit einem „Couplet-Scherz“ von Paul Hübner, der so beginnt:

Ein Wort, das früher man nicht kannte,
Man erst in neu’rer Zeit ersann,
Kein Wörterbuch ’s bis dahin nannte,
Das heut geläufig Jedermann –
Bedeuten soll es, wie man munkelt,
Ein schönes Trugbild auf der Szene,
’s zeigt prächtig sich, sobald es dunkelt,
Als Kalospinthechromokrene!

PS: Den fast unaussprechlichen Namen soll übrigens ein gewisser Friedrich Gottlieb Großkopf erfunden haben, der in Berlin das erste Café-Chantant gegründet hatte. Er gab ihm später den Namen „Walhalla“.

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