„Schmeißen“ oder „werfen“?

Unter einem Foto, das Adobe Stock auf seiner Internetseite anbietet, liest man:

Eine umgeschmissene Mülltonne auf einem festival Gelände.

Auch wenn hier möglicherweise ein automatisches Übersetzungsprogramm sein Unwesen getrieben hat, so ist der Satz doch typisch für ein sprachliches Phänomen, über das ich schon öfter (zum Beispiel hier) berichtet habe.

Immer öfter trifft man auf Erwachsene, die so reden (und schreiben!), wie sie es als Kinder getan haben. Sie sind zumindest sprachlich nie erwachsen geworden. Und man begegnet immer öfter Journalisten, die nicht mehr zwischen Umgangs- und Hochsprache unterscheiden. Dabei sollte das einem Zeitungsschreiber doch spätestens im Volontariat beigebracht werden.

Wenn man bei Google – um das obige Beispiel aufzugreifen – als Suchwort „umgeschmissene Mülltonnen“ eingibt, erhält man 3.590 Ergebnisse. Hier nur ein paar davon:

Eine Serie von Sachbeschädigungen beschäftigt die Polizei in Bad Pyrmont. Umgeschmissene Mülltonnen waren dabei noch das kleinere Übel. (Deister- und Weserzeitung)

Am Morgen fand er nicht nur den Schaden sondern auch umgeschmissene Mülltonnen vor. (Hessische/Niedersächsische Allgemeine)

Zaun beschädigt, Mülltonnen umgeschmissen. (Goslarsche Zeitung)

Mit Eiern beworfene Hauswände und Autos, umgeschmissene Mülltonnen, demolierte Briefkästen. (Südkurier)

Umgeschmissene Mülltonnen, aufgerissene Müllsäcke und Kratzspuren. (Nordsee-Zeitung)

Entwurzelte Bäume, umgeschmissene Mülltonnen und Anhänger, Schäden an Dächern und Stromleitungen. (Donaukurier)

Sie haben Pyrotechnik angezündet, Mülltonnen umgeschmissen und ein Verkehrsschild beschädigt. (Ostsee-Zeitung)

Alkoholisierte Jugendliche, die auf den Straßen herum gegrölt und einige Straßenschilder umgeschmissen hatten. (Kölner Stadt-Anzeiger)

Das mag genügen. Die Quellenangaben zeigen, daß sich der Fehler von Nord nach Süd durch die ganze deutsche Pressewelt zieht. Dabei wäre er so einfach zu beheben. „Schmeißen“ gehört der Umgangssprache an und hat in gedruckten Texten nichts zu suchen (es sei denn, es wird bewußt als Stilelement eingesetzt, was man hier aber ausschließen kann). Das einzige hochsprachliche Wort ist und bleibt „werfen“.

Dieses Wissen sollte man bei einem Journalisten eigentlich voraussetzen können. Aber wir leben in einer Zeit, in der sprachliche Differenzierung, Sprachgefühl und selbst die Kenntnis der einfachsten Regeln der Sprache rapide abnehmen – selbst in Berufen, die von der Sprache leben und deshalb eine besondere Verantwortung für sie haben.

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Gottkontakt

In einer medialen Werbe-Welt können Wörter Wunder wirken (hier stabt der Reim übrigens rein zufällig!). Der Apfelwein zum Beispiel, der von seinem Image her nur noch ein Altherrengetränk war, wurde durch den Namen „Äppler“ zu einem coolen Drink. Und die Rohkost aus den 50er Jahren ist wieder in aller Munde, seit sie „Raw food“ heißt.

Und Gebete sind wieder ganz in, seit sie „Gottkontakt“ heißen. Davon träumt jedenfalls die evangelische Kirche. Das Wort „Gottkontakt“ hat sie sich nämlich, wie der Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau in der neuesten „Impulspost“ den Gläubigen erzählt, im letzten Jahr „erarbeitet“. Könnte da vielleicht bei der Erarbeitung eine Werbeagentur „mitgearbeitet“ haben? Die ganze „Impulspost“ riecht jedenfalls danach.

HERZ-GEDANKE heißt es da, oder RUHE-PUNKT, oder KRAFT-WORT. Natürlich ist jede Ähnlichkeit mit esoterischem Vokabular rein zufällig. Oder vielleicht doch nicht?

Es gibt auch eine Internetseite mit dem Namen gottkontakt.de, aber das sollte man nicht zu wörtlich nehmen. Wenn man nämlich am unteren Ende der Seite auf „Kontakte“ klickt, erscheint als Adressat nur die Kirchenverwaltung. Ein Gottkontakt kommt so jedenfalls nicht zustande.

Ganz abgesehen von seiner Bedeutung halte ich „Gottkontakt“ im übrigen für ein auch sprachlich völlig mißlungenes Wort.

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„Wächst das Rettende auch“ – Ein Wort zu Hölderlin

Vor ein paar Tagen wurde in allen Feuilletons Hölderlins 250. Geburtstag gefeiert. Und es ist seltsam: fast alle Kritiker beginnen ihre Artikel, bevor sie ihr Lob verteilen, mit der Warnung, daß Hölderlins Lyrik doch ganz unzeitgemäß sei, die Sprache zu dunkel und zu hymnisch, das Pathos heutzutage kaum erträglich.

Stimmt das wirklich?

Im Grunde kritisieren sie damit ja nicht nur Hölderlin , sondern jede Lyrik, die über banales und seichtes Gereime hinausgeht. Lyrik ist zweifellos die schwierigste literarische Gattung. Wenn man sie selbst bei flüchtigem Lesen versteht, dann handelt es sich – mit Verlaub – um schlechte Lyrik. Ein lyrisches Gedicht kann man nicht „lesen“, so wie man die Sätze eines Romans herunterliest. Es ist ein sprachliches Geflecht aus Wörtern, Bildern und „Augenblicken“, das eben nicht, wie die Prosa, von der Linearität, von einem zeitlichen Nacheinander lebt („erst geschah dieses, danach jenes, dann ein drittes“), es ist vielmehr ein Geflecht, ein Netzwerk, in dem alles gleichzeitig ist und jedes Wort, jede Zeile sich auf alle anderen bezieht. Lyrik bedarf deshalb eines konzentrierten Lesers, der geistige Anstrengung und die Mühe des Nachdenkens und Rätselns nicht scheut – das mag einer der Gründe sein, weshalb sie in einer Zeit der sprachlichen Regression und Infantilisierung nur noch wenige Liebhaber hat.

In diesen Tagen, in denen wir alle das Rettende in der Gefahr gut gebrauchen können, mag ein kleiner Auszug aus Hölderlins Gedicht „Patmos“ Trost spenden:

Nah ist
Und schwer zu fassen der Gott.
Wo aber Gefahr ist, wächst
Das Rettende auch.
Im Finstern wohnen
Die Adler und furchtlos gehn
Die Söhne der Alpen über den Abgrund weg
Auf leichtgebaueten Brücken.
Drum, da gehäuft sind rings
Die Gipfel der Zeit, und die Liebsten
Nah wohnen, ermattend auf
Getrenntesten Bergen,
So gib unschuldig Wasser,
O Fittige gib uns, treuesten Sinns
Hinüberzugehn und wiederzukehren.

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Nein, ich werde nicht Waldpat*in!

Niemand auf der Welt kann „Waldpat*in“ werden, weil es dieses Wort im Deutschen nicht gibt. Aber der NABU verwendet es auch in seinem neuesten Newsletter mit einer solchen Lust an der Verhunzung der deutschen Sprache, daß es einem beim Lesen fast übel wird.

Japanische „Ärzt*innen“, heißt es da, verschrieben eine Waldtherapie gegen Burnout. Waldmedizin sei in Japan ein Forschungsgebiet, an dem „Wissenschaftler*innen“ arbeiteten. Aber „nicht jede*r“ (!), schreibt der NABU, habe einen Wald vor der Tür, usw.

Mit dieser Schreibweise, lieber NABU, ich muß es immer wieder sagen, beugt ihr euch dem Druck einer kleinen Minderheit, die sich das Recht anmaßt, im Namen einer angeblichen „Geschlechtergerechtigkeit“ die deutsche Sprache zu politisieren und zum Objekt der eigenen Ideologie zu machen. Ich bin sicher, daß eine große Mehrheit eurer „Mitgliederinnen und Mitglieder“ damit nicht einverstanden ist.

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Da liefert sich einer den Hammer!

Ach, was wäre die Welt ohne merkur.de – und was wäre die deutsche Sprache ohne den kreativen Geist dieses feinsinnigen journalistischen Zirkels, der den Leser immer aufs neue fasziniert!

Nehmen wir nur einmal folgende Überschrift (hier im Original nachzulesen):

Nach Corona-Eklat: 
Adidas liefert sich den nächsten Hammer.

Daß man jemandem eine Schlacht liefert, ist gutes Deutsch, wenn es auch, wie es im Duden oft heißt, als „veraltend“ angesehen werden muß. Und den Hammer muß der Baumarkt, wenn es mit dem Virus so weitergeht, demnächst vielleicht ins Haus liefern. Daß Adidas aber „sich den nächsten Hammer liefert“, gehört zu den sprachlichen Überraschungen, denen man bei merkur.de auf Schritt und Tritt begegnet.

Hier wird, wie es ein Germanist der älteren Generation ausdrücken würde, Unsagbares sagbar gemacht.

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Merkur.de fragt, Lupulus antwortet

Zum „Supermond“, der wegen seiner Nähe zur Erde zur Zeit besonders imposant erscheint, stellt die Qualitätsplattform merkur.de eine Frage, die vielleicht noch nie ein Mensch gestellt hat:

Wie kann man das eindrucksvolle Phänomen beobachten?

Ich hätte da eine Idee, die auch merkur.de-Leser verstehen dürften: einfach die Augen nach oben richten, und zwar genau dahin, wo sich der Mond befindet.

Und schon kann man ihn beobachten!

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„Schönes Wetter besorgt Behörden“

So eine Überschrift möchte ich eigentlich in der F.A.Z. nicht lesen, auch nicht, wenn es sich nur um eine Übernahme von einer Nachrichtenagentur handelt („Quelle: shüs./dpa“ steht unter dem Online-Artikel, hier nachzulesen).

Vieles kann man man „besorgen“, z.B. Toilettenpapier für die betagten Eltern oder ein Geschenk für die Kinder. Aber man kann doch nicht „die Behörden besorgen“! In Fällen wie diesen sollte man einfach einmal Subjekt oder Objekt durch ein Personalpronomen ersetzen, etwa so:

Ich besorge die Behörden.

Meine Mutter besorgt mich.

Und schon sieht man, daß eine solche Satzkonstruktion blanker Unfug ist. Daß die Behörden besorgt sind wegen des schönen Wetters, das wäre gutes Deutsch. Oder daß sie sich deshalb Sorgen machen. Es gibt hundert Möglichkeiten, den gemeinten Sachverhalt sprachlich richtig auszudrücken, auch in der Kürze, die für eine Überschrift nötig ist.

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„Adidas sagt Entschuldigung“

Die Seite 5 der heutigen F.A.Z. besteht aus einer ganzseitigen Anzeige von adidas mit der Überschrift „ADIDAS SAGT ENTSCHULDIGUNG“.

Es ist die Reaktion auf einen „Shitstorm“ im Internet, als bekannt wurde, daß Adidas, wie einige andere Ladenketten, angeblich keine Miete mehr für seine Filialen zahlen will. Das war in dieser Form gar nicht richtig, es ging nur um eine Stundung, die obendrein mit den Vermietern abgesprochen war. Aber die lieben User kennen eben, wie zu Neros Zeiten, nur „Daumen nach oben“ oder „Daumen nach unten“.

Und adidas reagiert mit einer teuren „Entschuldigung“ (der Anzeigenpreis dürfte allein in der F.A.Z. bei ca. 70.000 € gelegen haben), die bis zum Rand angefüllt ist mit einer peinlichen, beinahe fernöstlichen Selbstkasteiung.

Schlimmer noch ist aber die Anbiederung an die spätfeministische Sprachverhunzung. Hier einige Beispiele aus der Anzeige:

Liebe Leser_innen,

die Entscheidung, von Vermieter_innen unserer Läden die Stundung der Miete für April zu verlangen, wurde von vielen von Ihnen als unsolidarisch empfunden. Deshalb möchten wir uns bei Ihnen in aller Form entschuldigen. Wir haben unseren Vermieter_innen die Miete für April bezahlt.

Um langfristig die Arbeitsplätze unserer 60.000 Mitarbeiter_innen zu sichern, machen wir harte Einschnitte.

In China haben wir medizinische Güter für Ärzt_innen und Pflegepersonal bereitgestellt.

Die F.A.Z., die diesen ideologischen Sprachunfug in ihrem redaktionellen Teil nie mitgemacht hat, muß die Anzeige natürlich so drucken, wie es der Auftraggeber will. Aber es ist ein schändlicher Angriff auf die deutsche Sprache, auf die Kultur überhaupt, wenn jetzt schon große Unternehmen sich dem Sprachdiktat einer kleiner ideologischen Minderheit beugen.

Dafür – und nicht für ihre Mietstundungen – sollte sich adidas schämen.

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Und was kommt danach?

Ob wir denn nach dem Ende der Corona-Krise andere (vielleicht sogar bessere?) Menschen sein werden, das fragt man in diesen Tagen Passanten, Philosophen und Theologen.

Wer darauf eine Antwort haben und zugleich, vielleicht in häuslicher Quarantäne, ein kleines Meisterwerk der deutschen Literatur lesen möchte, der greife zu Heinrich von Kleists Novelle „Das Erdbeben in Chili“. Es hat als Reclamheft nur 62 Seiten und kostet gerade einmal 3,60 € (Kommentar und Materialien inklusive).

Die Frage, ob der Mensch womöglich durch Katastrophen (in der Novelle ist es ein fürchterliches Erdbeben in Santiago de Chile) geläutert wird, kann auch Kleist nicht ein für allemal beantworten, aber leider spricht nicht sehr viel dafür.

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Corona, Corona, Corona …

Obwohl ich mir redlich Mühe gebe, es zu vermeiden – auch mein Tagebuch kommt an dem Thema „Coronavirus“ nicht vorbei.

Heute abend sollte in der ARD endlich der dritte Teil der Dokumentarfilm-Reihe „Im Reich der Wolga“ laufen. Nach zwei Sendungen mit unglaublich schönen Bildern von einem Fluß, den viele von uns nur dem Namen nach kennen, hat man sich schon auf die dritte gefreut – auch heute wieder vergebens. Dreimal ist er (wenn ich richtig gezählt habe), verschoben worden, auch heute abend wird ihn niemand sehen können. Und warum?

Weil man genau wie am letzten Montag Frank Plasberg für seine Talkshow zwei Stunden am Stück (!) zur besten Sendezeit (20.15-22.15) zugeschanzt hat. Man hat so langsam das Gefühl, daß 90% des Programms nur noch ein Thema haben: Corona. Das ist inzwischen so ausgeufert, daß man von der (natürlich wichtigen!) Informationspflicht der Sender gar nicht mehr sprechen mag. Es ist ein täglicher Corona-Overkill ohne jedes Maß geworden, die Sender wetteifern anscheinend darum, wer es schafft, pro Tag mehr Sendestunden damit zu füllen als alle anderen.

Liebe Programmacher! Stellt euch einmal folgendes vor, nur so zum Spaß. Ein Mann liegt im Krankenhaus, sagen wir: mit einem Beinbruch. Er ist natürlich bettlägerig und sieht durch das Fenster des Krankenzimmers allenfalls ein Stück blauen Himmel. Sein kranker Zimmerkollege heitert ihn ihn auch nicht gerade auf. Also schaltet er den Fernseher ein. Und was sieht er da? Von morgens bis abends nur medizinische Sendungen über Knochenbrüche: er sieht einfache und komplizierte Frakturen und ihre Behandlung, mögliche Komplikationen, sogar Livebilder aus dem OP, Reportagen aus der Reha und Interviews mit den führenden deutschen Orthopäden. Wenn der arme Mann das nicht länger erträgt und auf andere Sender umschaltet, nützt es ihm nichts: es ist überall das gleiche Programm.

Habt ihr verstanden, was ich damit sagen will, liebe Programmacher?

Wir sind doch alle ein bißchen eingesperrt in diesen Zeiten – und ihr gönnt uns nicht einmal etwas Schönes und Gutes, über das wir uns freuen können.

PS: Die uralten Dokumentationen (teilweise bis 2008 zurückreichend!), die ihr aus den verstaubten Archiven hervorholt – selbst auf 3sat gibt es seit Monaten nichts anderes mehr! -, die, liebe Programmacher, könnt ihr euch, mit Verlaub, an den Hut stecken.

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