Nieder mit den Eliten!

Ist das nicht erstaunlich, wie heute alles auf die „Eliten“ einprügelt?

Nein, natürlich nicht alles, nicht einmal die Mehrheit der Menschen in unserem Land, eigentlich ist es nur eine kleine Minderheit, aber der Vergleich mit früheren Zeiten ist schon angebracht. In meiner Jugend, um die Mitte des 20. Jahrhunderts, hat man zu den Eliten noch aufgeschaut. Ja, man wollte sogar zu ihnen gehören, und man hat alles dafür getan. Es ist nicht allen gelungen, weil der Geist den Menschen in sehr verschiedenem Ausmaß zugeteilt ist, aber eine Bewunderung, ein Respekt für die Elite war damals auch bei einfachen Menschen immer vorhanden. Und was ist daran auch verwerflich?

Mit den marxistischen Studenten änderte sich das. Die absurde Idealisierung des Proletariers als eines fast idealen Menschen ging von Anfang an, also schon mit Marx, Engels und Lenin, mit einem unausrottbaren Mißtrauen gegen den Geist und gegen alles Intellektuelle einher. Arbeiterkinder wurden deshalb immer bevorzugt, wer aus einem bürgerlichen oder gar aus einem intellektuellen Elternhaus kam, mußte um seinen Studienplatz bangen. Ärzte, Lehrer, Professoren wurden schlecht bezahlt und standen im sozialen Ansehen weit unter einem Schweißer oder einem Agraringenieur. Dieses Mißtrauen gegen den Geist und die Eliten kennzeichnet die sozialistischen Überreste bis auf den heutigen Tag.

Inzwischen haben sich ihnen die Rechtspopulisten aller Länder beigesellt. Ihnen geht es natürlich nicht nur um die geistigen, sondern auch um die politischen Eliten. Daß die Populisten, den Präsidenten der Vereinigten Staaten eingeschlossen, ihre „Feinde“ immer öfter mit dem Wort „Establishment“ brandmarken, das ja in der Studentenbewegung der 60er Jahre, also eigentlich im gegnerischen Lager, entstanden ist, zeigt ein weiteres Mal, daß sich Extremisten jeder Couleur ganz wunderbar verstehen. In Italien haben sie sich sogar zu einer Koalition zusammengefunden. Aber vor allem: sie haben dieselben primitiven Denk- und Verhaltensstrukturen. Eine Politik, die auf Klugheit und Gelassenheit gründet, auf Kompromissen und auf geduldiger Arbeit, ist ihnen völlig fremd.

Sehen wir uns einmal an, wie das rechtspopulistische „Meinungsmagazin“ Tichys Einblick mit dem Wort „Eliten“, gern auch „Pseudo-Eliten“, umgeht (alles wörtlich der aktuellen Internetseite entnommen):

Die Eliten attestieren sich neuerdings brutal offen Kompetenz, schier maßlose Kompetenz.

Gleichwohl ersticken die Eliten den demokratischen Prozess nach Kräften.

Die Eliten waren immer das Problem.

Heute kämpfen die europäischen Eliten gemeinsam gegen ihre „Bevölkerungen“.

Eliten sind die greisen Pennäler, die in den Medien den Ton angeben und es sich auf dem Stuhl der Fingerzeiger bequem gemacht haben.

Ein rhetorisches Dauerfeuer richtet sich gegen das Wort „Elite“, das durch den sprachlichen Kontext und eindeutige Attribute nur noch negative Konnotationen hat:

Das dröhnende Schweigen der „Eliten“
die rotgrüne Medien-Elite
die Verblödung der Eliten
die Gauckschen Eliten
die aufgeschreckten europäischen Eliten
das verfassungsfeindliche Elitenverhalten
ein Elitentrick
wie die Republik aus der Elitenfalle herauskommt
primitiver Elitenhass auf die „Bevölkerungen“
die politisch-medialen Eliten
eine angemaßte Elite
die Eliten sind aus dem Ruder gelaufen
die Elitenmacht über die Medien
die antidemokratischen Eliten
die alten globalistischen Eliten
verdummende Rechthabereliten
der Elitenmensch Gauck
die Eliten wollen einfache Strickmuster
abgehobene Eliten wie Merkel, Maas, Söder und Co.
die globalistischen Eliten
Mitglieder der Soros-Blase und der globalistischen Budapester Elite
die Exzesse und blinden Flecken der globalistischen Eliten.

Das selbstformulierte Ergebnis:

Das Problem sind immer die Eliten.

Diese Beispiele habe ich in einer guten Viertelstunde entdeckt, sie stammen alle aus dem redaktionellen Teil von Tichys Einblick, nicht etwa aus den Leserkommentaren, die in ihrer bösartigen und aggressiven Verzerrung der Wirklichkeit kaum zu ertragen sind.

Diese Menschen, die sich in ihrer rechtspopulistischen Blase (und in ihrem Haß!) wohnlich eingerichtet haben, könnte man eigentlich bedauern – wenn sie nicht so gefährlich wären. Denn ihr Haß auf jeden, der nicht ihrer Meinung ist, hat in einer Demokratie nichts zu suchen. Gottlob gelingt es diesen Brandstiftern nicht, eine Mehrheit der Deutschen für sich zu gewinnen. Weit über 80% der Wähler haben ihnen bisher bei jeder Wahl die verdiente Abfuhr erteilt. Das ist beruhigend, aber man sollte wachsam bleiben.

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Kah-Schering

Die Hilfen, die man in Rheinland-Pfalz offiziell über die neuen Corona-Beschränkungen gibt, gehen über das Virologische weit hinaus und klingen „in Leichter Sprache“ so (hier nachzulesen):

CarSharing
Car-Sharing spricht man so:
Kah-Schering.
Car-Sharing bedeutet:
Leute teilen sich ein Auto.

Die Menschen sollen nur noch wichtige Sachen machen.

Bar
In einer Bar gibt es Getränke und Musik.

Copy-Shop
Im Copy-Shop gibt es Kopien.

Individual-Sport
Das ist Sport alleine.

Personal-Trainer
Das ist ein Sport-Trainer, der mit Einzel-Personen Sport macht.

Podologie
Bei der Podologie geht es um die Gesundheit vom Fuß.

Ja, ich weiß: die „Leichte Sprache“ ist für Menschen gedacht, die „Schwierigkeiten beim Verstehen schwieriger Texte haben“ (Wikipedia). Aber schwierige Sachverhalte auf diese Art scheinbar leicht zu machen, das funktioniert nicht. Komplizierte Sachverhalte kann man nicht durch „einfache“ oder „leichte“ Sprache verständlicher machen. Um sie zu verstehen, muß auch die Sprache komplex sein. Daran führt kein Weg vorbei.

Im übrigen, so scheint mir, ist das mangelhafte „Verstehen schwieriger Texte“ längst kein Problem der Barrierefreiheit mehr. Es ist ein Problem, das immer mehr die ganz normalen Durchschnittsschüler betrifft – und zunehmend auch die Erwachsenen. Der denkbar schlechteste Ausweg wäre es, die sprachlichen Anforderungen weiter zu senken und damit die vermeintlich „sozialen Sprachbarrieren“ niederzureißen, wie es linke Zirkel schon in den 60er Jahren gefordert haben. Wer die Welt verstehen, wer an der Demokratie teilhaben, wer Kultur wirklich genießen will, der muß in seiner Sprache zuhause sein, er muß sich in ihr wohlfühlen und auch ihre feinen Nuancen wahrnehmen. Wenn einem aber ein komplizierter Satz schon lästig ist, dann kann man sich zwar durchs Leben schlagen – aber mehr auch nicht.

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Veganköche und Impfgegner

Eine seltsame Melange, die sich da auf unseren Plätzen trifft, um die Grundrechte zu verteidigen: Impfgegner, Rechtspopulisten, Reichsbürger – und natürlich der „Vegankoch Attila Hildmann“, den offenbar – außer mir – jeder kennt. Nur Xavier Naidoo ist nicht gesehen worden.

Es würde mich nicht wundern, wenn da bald wieder von den „besorgten Bürgern“ die Rede wäre, wie damals in Chemnitz …

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„Tichys Einblick“ im Spiegel seiner Leserkommentare

Die Zeitschrift „Tichys Einblick“ nennt sich selbst „liberal-konservativ“, ist aber, wenn man die Artikel über längere Zeit liest, weder das eine noch das andere. Sie ist vor allem ein Sprachrohr der Neuen Rechten in Deutschland. Denn selbst eine Partei wie die AfD, deren propagandistische Plumpheit an jeder einzelnen Rede ihrer Bundestagsabgeordneten deutlich wird, möchte doch ganz gern auch ein paar intelligentere Anhänger um sich scharen. Dafür hält man sich dann solche Zeitschriften, die – wenn auch auf subtilere Art – die gleichen Ziele verfolgen wie die Mutterpartei.

Am deutlichsten wird das, wenn man in den Leserkommentaren von „Tichys Einblick“ stöbert. Denn die rechtspopulistische (ganz und gar nicht im guten Sinne konservative!) Agitation, die den meisten Artikeln offen oder zwischen den Zeilen zugrundeliegt, wird von den Lesern sehr genau verstanden und in den Kommentaren in klares Deutsch übersetzt.

Nehmen wir nur einmal den Titel der Mai-Ausgabe:

Multiples Staatsversagen
Wie die Angst vor dem Virus Wirtschaft und Demokratie ruiniert

Wer so titelt, leidet sichtbar an einer gravierenden, womöglich behandlungsbedürftigen Wahrnehmungsstörung. Während die ganze Welt bewundernd (und manchmal auch ein bißchen neidisch) auf den disziplinierten Umgang der Deutschen – und zwar sowohl der Regierung als auch der Bevölkerung – mit der Pandemie blickt, zieht sich die populistische Rechte auf ihre alten Angriffsziele zurück. Im Mittelpunkt stehen dabei immer die „Merkel-Clique“ und die „Mainstream-Medien“. Ein paar Zitate von Tichys Einblick-Lesern, die verstanden haben, wie sie denken sollen, mögen genügen:

Kampf um den Parteivorsitz CDU, Untergang der SPD, ja selbst die Abwahl von Merkel mit ihren Klatschhasen stand kurz bevor. Dann kam CORONA. Rettung in letzter Sekunde. Die Deutschen sind so was von dämlich.

Weg mit dem RKI, weg mit Politikern, die die Bürger für dumm verkaufen und vor allen Dingen weg mit dem öffentlichen Rundfunk!

Diese Fehlentwicklungen liegen vor allem an einer Person, Angela Merkel.

Der Tichys Einblick-Leser B. geht noch weiter (alles in der Original-Rechtschreibung des Verfassers):

Eine gewisse Frau die als Physikerin bezeichnet wird hat zwar Staatsuntericht gehabt aber in einem Anderen Staat Staatsform. die gescheitert ist, der DDR Die vom Volk beseitigt wurde. Diese Frau aggiert nun nach dem was sie damals im Staatsunterricht vermittelt bekam und gut findet.
Aber was Tun? Das Grundgesetz gibt den Bürgern nach dem Grundsatz der Demokratie alle Macht hat vom Volke auszugehen ausdrücklich das Recht gegen Feinde des Grundgesetzes auch mit Gewalt vorzugehen. Die Feinde des Grundgesetzes sind aber eben gerade die Regierenden und große Teile der so genannten Elite.
Aber was macht die Bevölkerung diesbezüglich? Nichts. Statt sich am Grundgesetz zu orientieren fragt die Bevölkerung „ihre Henker“ noch was sioe tun dürfen und was nicht.

Was so in Tichys Einblick nie stehen würde (da hat man dieselbe Raffinesse wie die AfD, die fast immer unterhalb der strafrechtlich relevanten Grenze bleibt und doch von den Volksgenossen sehr genau verstanden wird!), das übersetzt dieser Leser in schlechtes, aber ehrliches Deutsch. Die Lizenz, „gegen Feinde des Grundgesetzes auch mit Gewalt vorzugehen“, gehört zum rechtsradikalen Narrativ vom „Widerstandsrecht“ gegen die „Volksverräter“ an der Regierung. Um das zu rechtfertigen, wird Deutschland in vielen Leserkommentaren als „failed state“ oder „Bananenrepublik“ beschimpft. Die gewählte Kanzlerin steht dabei immer im Zentrum der Schmähungen. Die folgenden Zitate sind wieder wörtlich den Leserkommentaren dieses „liberal-konservativen Meinungsmagazins“ entommen:

Frau Merkel, was Sie Deutschland angetan haben ist eine Schande. Sie schleifen das Grundgesetz, verschleudern das Vermögen der Deutschen, werfen es Glücksrittern und Wirtschaftsmigranten aus aller Welt zum Fraß vor. Sie verachten Deutschland und die deutsche Bevölkerung. Dies ist nicht “Ihr Land“. Sie haben es okupiert und liegen wie Mehltau darauf. Bitte gehen Sie.

Was er vom Grundgesetz hält, macht Leser D. deutlich:

Diese unsägliche Verfassung macht Merkels handeln überhaupt erst möglich!

Der kommende Niedergang Deutschlands wir so unvorstellbar dramatisch, daß der Ruf nach neuen Führern übermächtig werden wird.
Merkel wird doch nur noch durch eine devote, sich selbst belügende Presse (welcher Journalist glaubt an sein eigenes Geschwafel? Die sind unmöglich alle so blöd und blind) politisch am Leben erhalten.

Aber dieses Mal bitte keinesfalls ohne konkretes und körperliches zur Verantwortung ziehen derer, die diese erbärmliche Frau jemals in irgendwelche Positionen hievten.

Das Problem an Merkel ist doch nicht Merkel, sondern all diejenigen, die ihr diese Macht der Unabwählbarkeit geben. Also die Medien. Wer wirklich Merkel treffen (=abwählen) will, muss dieses Kartell aus merkelschen Schönrednern und Gesundbetern treffen.

Ja Frau Merkel. Erlöse uns von dem Übel. Ein Teil der Menschen in Deutschland wird aufatmen. Befreit vom Mehltau. Die Chance auf etwas neues, befreiendes. Ich werde Sie nicht vermissen. Gehen Sie – bitte gehen Sie. Und nehmen Sie ihre Bagage mit.

Und noch ein paar Attribute, die Tichys Einblick-Leser der Kanzlerin geben:

diese vaterlandslose Zerstörerin all dessen, was in der Bundesrepublik vor ihr gut, schön, liebenswert war …

diese Heimsuchung Deutschlands …

Für mich wäre wichtig, das Sie weg ist; der Sekt (Jahrgang 2000) ist schon kaltgestellt …

Das mag genügen. Alle, die hier zu Wort gekommen sind, betrachten sich als Patrioten, die das deutsche Vaterland (und möglichst auch noch das ganze christliche Abendland) retten möchten – und doch keinen einzigen fehlerfreien Satz zustandebringen. Ich habe auch keineswegs nur besonders krasse Beispiele ausgewählt. Die zitierten Leserkommentare sind leider repräsentativ, gerade auch in ihrem maßlosen Haß. Unter den Hunderten Kommentaren, die sich mit der Kanzlerin beschäftigen, habe ich nur einen einzigen gefunden, der seine Kritik sachlich vorbringt.

PS: Ich habe, wie schon an anderer Stelle bemerkt, immer große Bedenken, ob ich solche Kommentare zitieren soll, denn damit bietet man diesen Menschen ja ungewollt ein weiteres Forum für ihre Haßexzesse. Aber gerade weil man sieht, was das rechtspopulistische Dauerfeuer in den Köpfen vieler Menschen anrichtet, sind solche Zitate leider notwendig. Und es ist bezeichnend, daß die Redaktion sie tage- oder gar wochenlang stehenläßt. Tichys Einblick bittet darum, in den Leserbriefen keine „Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptablen Worte“ zu verwenden, und schreibt weiter:

Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt.

Das bedeutet: alle Kommentare, die ich oben zitiert habe, sind von der Redaktion von Tichys Einblick gelesen, als akzeptabel bewertet und veröffentlicht worden. Der zitierte Gewaltaufruf des Einblick-Lesers B. steht seit mehr als drei Tagen uneingeschränkt lesbar auf der Internetseite dieses liberalen und konservativen Meinungsmagazins.

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Zählen Sie doch einmal Schmetterlinge!

Grüner Zipfelfalter

Durch die Kontaktbeschränkungen in den Städten und Gemeinden sieht man seit einigen Wochen viel mehr Menschen in der Natur als früher. Auch auf den verstecktesten Pfaden kommen einem auf einmal Spaziergänger, Radler und Jogger entgegen. Manchen Familien mit Kindern sieht man an, daß der Gang durch die Natur für sie etwas Ungewohntes ist, und so hat selbst die Pandemie ihre gute Seite – man könnte es einen Kollateralnutzen nennen.

Schmetterlinge sind „fliegende Edelsteine“ (auf dem Bild oben sieht man den Grünen Zipfelfalter), jeder mag sie. Aber sie sind wie viele andere Tiere bedroht: vor allem durch den Verlust an Lebensräumen. Da ist es wichtig, daß man regelmäßig eine Bestandsaufnahme macht. Welche Arten sind im Rückgang begriffen, welche können sich an die neue, vom Menschen geschaffene Umwelt anpassen?

Hier kann jeder, der Freude an der Natur hat, als ehrenamtlicher Mitarbeiter seinen kleinen Beitrag leisten. Das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) sucht immer Naturfreunde, die sich langfristig an der Schmetterlingszählung in Deutschland beteiligen. Dazu muß man kein Schmetterlingsspezialist sein – wenn man Freude an der Natur hat und der schönen Sache von April bis September eine Stunde pro Woche opfert, kann man dazu beitragen, die Veränderungen der Fauna in der näheren Umgebung zu registrieren.

Man sucht sich eine Wegstrecke von ca. 200 m (oder mehr) und begeht diese Strecke einmal pro Woche. Dabei notiert man die Schmetterlingsarten und ihre genau Zahl in einem Erfassungsbogen. Man muß dabei bestimmte Regeln einhalten, aber die sind nicht schwer. Man bekommt eine genaue Anleitung und jede erdenkliche Hilfe. Die Daten kann man am Ende bequem online an das UFZ übertragen.

Angst vor dem Bestimmen der Schmetterlingsarten muß man nicht haben. Hier gilt die Devise „learning by doing“. Ein gutes Bestimmungsbuch (empfohlen wird Settele, Die Tagfalter Deutschlands aus dem Ulmer-Verlag) reicht, eine Kamera ist natürlich von Vorteil, damit man die Falter zuhause in Ruhe bestimmen oder sich von Experten Hilfe holen kann.

Carterocephalus palaemon - Gelbwürfeliger Dickkopffalter

Ich bin jetzt im neunten Jahr dabei und lerne jedes Jahr dazu. Mein „Transekt“ (so nennt man die Wegstrecke, die man über die Saison hinweg beobachtet) birgt zwar keine großen Raritäten, das kann man im Rhein-Main-Gebiet auch nicht erwarten, aber es ist spannend zu sehen, wie sich etwa das Wetter oder Veränderungen der Umgebung auf die Zahl der Schmetterlinge auswirken. Und dann findet man doch immer einmal wieder Falter, die man noch nie gesehen hat – diesen Gelbwürfeliger Dickkopffalter etwa, der sich vorwitzig auf meinem Fahrrad niedergelassen hat.

Falls Sie Interesse haben, können Sie sich ja einmal ganz unverbindlich die Internetseite Tagfalter-Monitoring des Helmholtz-Zentrums ansehen. Ich kann aus meiner Erfahrung nur sagen: man tut etwas Gutes – und es macht auch noch Spaß!

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Preisgekrönt und von zeitgenössischen Philosophen geehrt: der Youtuber Rezo

Eine in mancherlei Hinsicht sonderbare Preisverleihung frischt die Erinnerung an den blauschöpfigen Youtuber Rezo wieder auf. Sie erinnern sich? Am 18. Mai 2019, kurz vor der Europawahl, veröffentlichte er auf Youtube sein „berühmtes“ Video „Die Zerstörung der CDU“. Er hatte im Internet „recherchiert“ (so nennt man das heute, wenn man ohne solides Wissen im Internet herumklickt) und über alle Parteien außer den Grünen sein fachmännisches Verdammungsurteil gefällt. Als „Musiker, Unterhaltungskünstler, Kolumnist und Webvideoproduzent“ (Wikipedia) war er dazu natürlich berufen. Ich habe mir damals die ersten Minuten angesehen, länger konnte ich diese Mischung aus (gespielter?) Naivität, jugendlicher Überheblichkeit und Geschäftstüchtigkeit nicht ertragen. Da half auch nicht das „13-seitige Quellenverzeichnis“, das die Wikipedia fast ehrfürchtig erwähnt. Es besteht fast ausschließlich aus den angeklickten Internetseiten.

Apropos „geschäftstüchtig“ (hier nachzulesen):

Rezo wird von ALL IN – Artist Management vertreten und ist Teil des Influencer-Vermarkternetzwerks TubeOne Networks, welches zu Ströer Digital von Ströer Media gehört.

Und jetzt erhält er für dieses, na, sagen wir „Werk“ in der Kategorie „Webprojekt“ den Nannen Preis. Ja, so nennt er sich wirklich: „Nannen Preis“, ganz ohne Bindestrich, als hätten Nannen und sein Preis nichts miteinander zu schaffen.

Henri Nannen (1913-1996) war ein Vollblutjournalist. Er gründete den „Stern“ schon 1948 und war über 30 Jahre lang sein Chefredakteur. Ob er sich bei diesem Preisträger, wie man so schön sagt, “ im Grabe herumdreht“, weiß man nicht. Vieles spricht dafür.

Die Unabhängigkeit des Preises, liest man auf der „Stern“-Seite,

wird durch ein aufwendiges Sichtungsverfahren und namhafte Jurys gewährleistet, der Journalist*innen, Autor*innen, Chefredakteur*innen und Fotograf*innen nahezu aller großen Verlage Deutschlands angehören.

So viele dumme Sternchen im „Stern“! Aber wer hat eigentlich in der Jury gesessen? Nur einer exponiert sich: der „Philosoph“ Richard David Precht. Hören wir ihn selbst (wieder der „Stern“-Seite entnommen):

Er sei „tief beeindruckt von seiner frischen, unterhaltsamen und zugleich fundierten Art, politische Themen so aufzubereiten, dass es auch Jüngere in den Bann schlägt“, sagt Precht. „Natürlich haben wir diskutiert: Ist das Journalismus oder Aktivismus? Aber mal Hand aufs Herz: Waren die Urgesteine des ‚alten‘ Journalismus nicht auch Aktivisten? Ob Augstein, Dönhoff oder Fest? Weltanschaulich neutral war da niemand und deshalb finde ich: Rezo, du hast es verdient!“

Da sitzt Rezo jetzt also mitten zwischen Rudolf Augstein, der Gräfin Dönhoff und Joachim Fest. Mir fällt da nur eine einzige ähnlich absurde Preisverleihung ein: die Ehrung des Rappers Bushido durch das Haus Burda im Jahr 2011. Bushido, schrieb die Jury damals,

gilt als der erfolgreichste Rap-Musiker Deutschlands und ist ein hervorragendes Beispiel für gelungene Integration: Bushido, Sohn einer deutschen Mutter und eines tunesischen Vaters, wuchs unter schwierigen sozialen Bedingungen auf und schaffte es nach ganz oben. Mit seinem eindringlichen Sprechgesang und oft provokanten Texten eroberte er die Hitparaden. Bushido ist heute Gesprächspartner und Ratgeber für Politiker. Seine Stimme findet Gehör, nicht nur bei Millionen Fans, sondern auch in den Medien. Als willkommener Gast in Talkshows und Interviewpartner proklamiert er das Selbstverständnis vieler Deutscher mit Migrationshintergrund.

PS: Mancher mag sich wundern, daß ich die Bezeichnung „Philosoph“ für Richard David Precht in Anführungszeichen setze. Aber es ist ja nicht jeder, der Philosophie studiert hat, gleich ein Philosoph. Selbst ein Dozent der Philosophie, und sei er noch so sachkundig, ist per se noch lange kein Philosoph, dazu braucht’s schon ein bißchen mehr.

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Seuchen und Revolutionen

Im zweiten Akt seines Dramas Dantons Tod (1835) läßt Georg Büchner den Anhänger Robespierres, Louis Antoine de Saint-Just, so zu Wort kommen:

Es scheint in dieser Versammlung einige empfindliche Ohren zu geben, die das Wort ›Blut‹ nicht wohl vertragen können. Einige allgemeine Betrachtungen mögen sie überzeugen, daß wir nicht grausamer sind als die Natur und als die Zeit. Die Natur folgt ruhig und unwiderstehlich ihren Gesetzen; der Mensch wird vernichtet, wo er mit ihnen in Konflikt kommt. Eine Änderung in den Bestandteilen der Luft, ein Auflodern des tellurischen Feuers, ein Schwanken in dem Gleichgewicht einer Wassermasse und eine Seuche, ein vulkanischer Ausbruch, eine Überschwemmung begraben Tausende. Was ist das Resultat? Eine unbedeutende, im großen Ganzen kaum bemerkbare Veränderung der physischen Natur, die fast spurlos vorübergegangen sein würde, wenn nicht Leichen auf ihrem Wege lägen.

Und er plädiert dann entschieden für das Blutvergießen:

Ich frage nun: soll die geistige Natur in ihren Revolutionen mehr Rücksicht nehmen als die physische? Soll eine Idee nicht ebensogut wie ein Gesetz der Physik vernichten dürfen, was sich ihr widersetzt? Soll überhaupt ein Ereignis, was die ganze Gestaltung der moralischen Natur, das heißt der Menschheit, umändert, nicht durch Blut gehen dürfen? Der Weltgeist bedient sich in der geistigen Sphäre unserer Arme ebenso, wie er in der physischen Vulkane und Wasserfluten gebraucht. Was liegt daran, ob sie an einer Seuche oder an der Revolution sterben?

In diesen Worten ist schon alles prophetisch vorweggenommen, was die zynischen, menschenverachtenden Ideologen des 20. Jahrhunderts in die Tat umgesetzt haben.

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Wie die Seuche durch ein Machtwort zum Verschwinden gebracht werden kann

Höre, Merkel! Und lies diese Anekdote, die du in Börnes Briefen aus Paris, und zwar im Brief vom 2. Februar 1832, findest:

Im Jahre 1070 brach in Peking eine Krankheit aus, deren Wirkung sich an den Haaren derjenigen zeigte, die in freier Luft lebten. In kurzer Zeit verlor der Kranke die Hälfte seiner Haare, und darauf starb er. Als der damalige Kaiser Tschang- Lung dieses erfuhr, sagte er mit bestimmten Worten, er wolle von dieser Krankheit nichts hören. Dieser höchste Wille, mit Festigkeit ausgedrückt, machte die Seuche verschwinden.

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Von Österreich lernen!

Da gilt nämlich ab Mitte Mai eine sehr vernünftige Regelung:

Gastronomische Betriebe dürfen vom 15. Mai an öffnen, aber unter Einschränkungen. Es sollen nur bis zu vier Personen – plus eine nicht begrenzte Zahl von Kindern – an einem Tisch sitzen. Zwischen Gästegruppen soll der Mindestabstand von einem Metern sichergestellt sein. Es gilt eine Sperrstunde um 23 Uhr. Mitarbeiter, die Kontakt zu Gästen haben, müssen eine Gesichtsmaske oder ein „Gesichtsvisier“ tragen. Von den Gästen wird das nicht verlangt.

Die deutsche Gastronomie sollte wirklich einmal überlegen, ob ihr Verband in der Coronakrise gute Arbeit geleistet hat. Offenbar nicht!

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Es war der Marderhund und nicht die Lerche

Also doch nicht die Fledermaus, und das Gürteltier auch nicht. Und erst recht nicht das berüchtigte Labor in Wuhan. Nein, der Marderhund ist schuld an der Pandemie – oder genauer: die Chinesen, die den Marderhund fangen und züchten.

Damit überrascht uns jetzt der Virologe Christian Dosten (hier nachzulesen):

Wenn mir jemand ein paar Tausend Dollar und freien Zugang zu China geben würde, um die Quelle des Virus zu finden, würde ich an Orten suchen, wo Marderhunde gezüchtet werden.

Solche Viren kochen nicht auf einem Markt hoch, sondern dort, wo die Tiere gezüchtet oder gefangen werden.

Armin Laschet ist in vielen Kommentaren beschimpft worden, weil er sich am Sonntag bei Anne Will über die wechselnden und immer härteren Forderungen der Virologen beschwert hat. Dabei hat Laschet ja recht: erst ging es nur darum, die Kurve der Neuinfektionen flacher werden zu lassen, dann sollte die Verdoppelungszahl reduziert werden, und als auch das geschafft war, hieß es auf einmal, viel wichtiger sei die Reproduktionszahl, die unbedingt kleiner als 1 sein müsse. Das alles haben wir nun durch die Disziplin der Bevölkerung erreicht – aber statt dafür belohnt zu werden, wird jetzt selbst eine behutsame Rückkehr immer weiter in die Ferne gerückt. Wir stünden in Deutschland erst am Anfang der Pandemie, heißt es auf einmal, und man müsse die Kontaktbeschränkungen auf unbestimmte Zeit fortsetzen. Virologen, so scheint mir, sind wunderbare und kompetente Fachleute – aber miserable Psychologen. Sobald sich ein Lichtblick auftut, decken sie ihn schnell mit dem schwärzesten Tuch zu, das sie haben. Karl Lauterbach, der sozialdemokratische Epidemiologe, geht dabei immer vorneweg, läßt sich in jede zweite Talkshow einladen und verbreitet nach Kräften seinen ärztlichen Pessimismus. „Das Schlimmste kommt erst noch“, ist sein Motto.

So richtig es war, erst einmal auf die Virologen zu hören, so falsch wäre es, sich zu ihrem Sklaven zu machen. Denn sie haben keine politische Verantwortung, niemand hat sie gewählt, und ihre Fehleinschätzungen wären vielleicht im Kollegenkreis peinlich, aber ansonsten folgenlos.

Daß es unter ihnen Fraktionen mit zum Teil erheblichen und für die Bevölkerung wichtigen Unterschieden gibt, wurde spätestens klar, als Hendrik Streeck, ebenfalls Professor für Virologie, aufgrund seiner konkreten Arbeit in Heinsberg zu abweichende Meinungen kam und dafür sofort nach allen Regeln der Kunst abgestraft wurde. Wissenschaftler, das sollte man im 21. Jahrhundert eigentlich auch als Journalist wissen, leben und arbeiten heute in einer Konkurrenz- und Marktsituation, die mit dem Ethos des altehrwürdigen Forschers nichts mehr zu tun hat. Das darf man bei aller Ehrfurcht vor der Wissenschaft nicht ganz vergessen.

Wolfgang Schäuble hat recht. Dem Tagesspiegel sagte er kürzlich (hier nachzulesen):

„Wenn ich höre, alles andere habe vor dem Schutz von Leben zurückzutreten, dann muss ich sagen: Das ist in dieser Absolutheit nicht richtig.“ Auch der Schutz der Menschenwürde schließe nicht aus, dass „wir sterben müssen“. An anderer Stelle fügte er hinzu: „Wir dürfen nicht alleine den Virologen die Entscheidungen überlassen, sondern müssen auch die gewaltigen ökonomischen, sozialen, psychologischen und sonstigen Auswirkungen abwägen.“

Das klingt wie eine Selbstverständlichkeit, aber gerade in einer Krisenzeit tut es gut, auch eine andere Meinung anzuhören und sich wenigstens einen Moment lang dem Dauerfeuer der Virologen zu entziehen. Am Ende ist es nämlich gar nicht so wichtig, ob es der Marderhund oder die Fledermaus war. Am Ende zählt nur, ob wir als Gesellschaft mit Anstand und mit Menschlichkeit durch diese Krise kommen.

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