Eine in mancherlei Hinsicht sonderbare Preisverleihung frischt die Erinnerung an den blauschöpfigen Youtuber Rezo wieder auf. Sie erinnern sich? Am 18. Mai 2019, kurz vor der Europawahl, veröffentlichte er auf Youtube sein „berühmtes“ Video „Die Zerstörung der CDU“. Er hatte im Internet „recherchiert“ (so nennt man das heute, wenn man ohne solides Wissen im Internet herumklickt) und über alle Parteien außer den Grünen sein fachmännisches Verdammungsurteil gefällt. Als „Musiker, Unterhaltungskünstler, Kolumnist und Webvideoproduzent“ (Wikipedia) war er dazu natürlich berufen. Ich habe mir damals die ersten Minuten angesehen, länger konnte ich diese Mischung aus (gespielter?) Naivität, jugendlicher Überheblichkeit und Geschäftstüchtigkeit nicht ertragen. Da half auch nicht das „13-seitige Quellenverzeichnis“, das die Wikipedia fast ehrfürchtig erwähnt. Es besteht fast ausschließlich aus den angeklickten Internetseiten.
Apropos „geschäftstüchtig“ (hier nachzulesen):
Rezo wird von ALL IN – Artist Management vertreten und ist Teil des Influencer-Vermarkternetzwerks TubeOne Networks, welches zu Ströer Digital von Ströer Media gehört.
Und jetzt erhält er für dieses, na, sagen wir „Werk“ in der Kategorie „Webprojekt“ den Nannen Preis. Ja, so nennt er sich wirklich: „Nannen Preis“, ganz ohne Bindestrich, als hätten Nannen und sein Preis nichts miteinander zu schaffen.
Henri Nannen (1913-1996) war ein Vollblutjournalist. Er gründete den „Stern“ schon 1948 und war über 30 Jahre lang sein Chefredakteur. Ob er sich bei diesem Preisträger, wie man so schön sagt, “ im Grabe herumdreht“, weiß man nicht. Vieles spricht dafür.
Die Unabhängigkeit des Preises, liest man auf der „Stern“-Seite,
wird durch ein aufwendiges Sichtungsverfahren und namhafte Jurys gewährleistet, der Journalist*innen, Autor*innen, Chefredakteur*innen und Fotograf*innen nahezu aller großen Verlage Deutschlands angehören.
So viele dumme Sternchen im „Stern“! Aber wer hat eigentlich in der Jury gesessen? Nur einer exponiert sich: der „Philosoph“ Richard David Precht. Hören wir ihn selbst (wieder der „Stern“-Seite entnommen):
Er sei „tief beeindruckt von seiner frischen, unterhaltsamen und zugleich fundierten Art, politische Themen so aufzubereiten, dass es auch Jüngere in den Bann schlägt“, sagt Precht. „Natürlich haben wir diskutiert: Ist das Journalismus oder Aktivismus? Aber mal Hand aufs Herz: Waren die Urgesteine des ‚alten‘ Journalismus nicht auch Aktivisten? Ob Augstein, Dönhoff oder Fest? Weltanschaulich neutral war da niemand und deshalb finde ich: Rezo, du hast es verdient!“
Da sitzt Rezo jetzt also mitten zwischen Rudolf Augstein, der Gräfin Dönhoff und Joachim Fest. Mir fällt da nur eine einzige ähnlich absurde Preisverleihung ein: die Ehrung des Rappers Bushido durch das Haus Burda im Jahr 2011. Bushido, schrieb die Jury damals,
gilt als der erfolgreichste Rap-Musiker Deutschlands und ist ein hervorragendes Beispiel für gelungene Integration: Bushido, Sohn einer deutschen Mutter und eines tunesischen Vaters, wuchs unter schwierigen sozialen Bedingungen auf und schaffte es nach ganz oben. Mit seinem eindringlichen Sprechgesang und oft provokanten Texten eroberte er die Hitparaden. Bushido ist heute Gesprächspartner und Ratgeber für Politiker. Seine Stimme findet Gehör, nicht nur bei Millionen Fans, sondern auch in den Medien. Als willkommener Gast in Talkshows und Interviewpartner proklamiert er das Selbstverständnis vieler Deutscher mit Migrationshintergrund.
PS: Mancher mag sich wundern, daß ich die Bezeichnung „Philosoph“ für Richard David Precht in Anführungszeichen setze. Aber es ist ja nicht jeder, der Philosophie studiert hat, gleich ein Philosoph. Selbst ein Dozent der Philosophie, und sei er noch so sachkundig, ist per se noch lange kein Philosoph, dazu braucht’s schon ein bißchen mehr.
Sehr geehrter Lupulus,
Sie sprechen mir wieder einmal aus der Seele. Es wundert mich nicht, dass Richard David Precht sich derart lobend über Rezo äußert. Herr Precht hat nun einmal diese naive Ader und meint, Visionen von einer besseren Gesellschaft zu entwerfen, die sich aber, wenn man sie durchdenkt, als absurde Utopien erweisen. Man denke etwa an seine Überlegungen, unser Schulsystem zu reformieren. (Ich muss dazu sagen, dass auch ich dringenden Bedarf sehe, unser Schulsystem zu reformieren, aber ganz anders, als sich Herr Precht das vorstellt.) Kein Wunder also, dass dieser „Philosoph“ sich von Rezo beeindruckt zeigt. An diesem Beispiel zeigt sich einmal mehr, dass zusammenfindet, was zusammengehört.
Mit freundlichen Grüßen
Quercus