So viel Geld für die Unaussprechlichen! Die Klage eines Zeit-Filosofen – Ein Fundstück aus dem 19. Jahrhundert

Vor einigen Wochen bin ich auf der Suche nach dem Wort „Philaleth“ auf einen österreichischen Autor namens Anton Philalethes gestoßen. Wie zu vermuten war, handelt sich dabei um ein Pseudonym. Sein bürgerlicher Name war Ludwig Donin (1810-1876). Er war nicht nur katholischer Priester, sondern auch, wie man in der Wikipedia nachlesen kann, ein äußerst fruchtbarer Schriftsteller. Er verfaßte

neben Gebets- und Erbauungsbüchern historische und polemisch-politische Werke. Allein 1867 erschienen 27 Titel aus seiner Feder. Zum Zeitpunkt seines Todes sollen sich 6 Millionen Bücher von ihm im Umlauf befunden haben.

Ein kleines Büchlein von ihm habe ich mir einmal ein bißchen näher angeschaut. Es heißt „Der kleine Zeit-Filosof“ und ist 1867 bei C. Biel in Wien erschienen.

Zwei Reisende, Anton und Gottfried, treffen sich beim Abendessen und philosophieren munter drauflos. Anton ist ein ausgesprochener Pessimist, vom Menschen hält er nicht viel.

Man will glücklich sein, und thut Alles, um unglücklich zu werden; man will genießen und lange genießen, und man betäubt sich, und diese Betäubung nennt man Genuß. Man will sich Freuden schaffen, und man schafft sich Freuden wie ein Thier, mit Essen, Trinken und anderen, die Gesundheit und das Leben zerstörenden Genüssen.

Zum Beweis seiner Thesen führt er auf, wieviel Geld allein in Wien ausgegeben wird, „um die Narrheit zu befördern“. Ein Sachverständiger hatte nämlich in der Korrespondenz Bermann ausgerechnet, wieviel Geld die Wiener in einer einzigen Faschingszeit ausgeben (die Abkürzung fl. steht für Gulden).

In der Zeit vor Beginn des Faschings haben sie folgendes gekauft:

195.000 Paar Ballhandschuhe 160.000 fl.
110.000 Paar Lackstiefel 500.000 fl.
200.000 Damenstiefletten und Schuhe 680.974 fl.
301.205 Kravaten 290.400 fl.
50.000 Vatermörder 25.000 fl.
62.307 Hemden 120.000 fl.
68.005 Chemisetten 22.000 fl.
16.000 Paar Manschetten 8.000 fl.
72.000 Unaussprechliche 720.000 fl.
95.000 Krinolinen 455.000 fl.
40.000 Stück Fracks 900.000 fl.
52.907 weiße Gilets 264.585 fl.
verschiedene Parfums 20.000 fl.
Zigarren 50.000 fl.
Kotillonorden 3.500 fl.
160.000 Damenballkleider und Charakteranzüge 3.800.000 fl.
Fächer und sonstige Utensilien 25.000 fl.
Spitzen, Bänder 100.000 fl.
echten Damenschmuck 260 fl.
Stempel für ausgestellte Wechsel 10.807 fl.

Während des Faschings gingen die Ausgaben natürlich weiter:

Für Zuckerwerk 500.00 fl.
für Bier 1.900.000 fl.
für Wein (inkl. Champagner) 280.000 fl.
Eßwaaren aller Art 1.800.000 fl.
Gefrornes 621.444 fl.
für Eintrittskarten 999.999 fl.
für Aufbewahrung der Garderobe 50.000 fl.
Zigarren 20.000 fl.
Trinkgelder 120.478 fl.
für Masken 60.000 fl.
für Bijouterien 93.409 fl.
für außerordentliche Ausgaben (Subventionen an Witwen, Waisen etc.) 636.636 fl.
Eierpunsch und Knickebein 31.263 fl.

Nach dem Fasching wurde noch folgendes ausgegeben:

Für Fiaker und Komfortables (hin und zurück) 807.000 fl.
für Zigarren 13.000 fl.
für Hausmeister 99.004 fl.
für das Reinigen der Wäsche 10.000 fl.
für Doktoren und Apotheke 505.555 fl.
für das Fleckausbringen 2.508 fl.
für sonstige Reparaturen 10.000 fl.

Und der „Sachverständige“ kommt zu dem Ergebnis, daß sich die Ausgaben einer einzigen Wiener Faschingszeit auf 17 Millionen Gulden belaufen. Ferner, schreibt der Autor,

sollen von gefüllten Krapfen allein 4 1/2 Millionen Stück verschlungen worden sein! Eine traurige Sittengeschichte unserer Zeit!

Wie weit diese Zahlen stimmen, kann man nicht mit Gewißheit sagen. Manche – wie die 999.999 Gulden für Eintrachtskarten – klingen ein bißchen merkwürdig, aber der Autor selbst hält sie offenbar für realistisch.

Nur noch ein paar Worterklärungen: ein Vatermörder ist ein damals modischer Stehkragen, Chemisette eine gestärkte Hemdbrust zum Frack, Krinoline ein Reifrock, Gilet eine ärmellose Weste für Herren. Und die Unaussprechlichen? Das ist natürlich die weibliche Unterwäsche. Völlig undenkbar im 19. Jahrhundert, solche Kleidungsstücke auch nur mit einem Namen zu benennen!

Und wie sieht’s im 21. Jahrhundert aus? Wenn die Feministinnen sich schon daran stoßen, daß Frauen in einem Gedicht (!) mit Blumen verglichen werden, dann werden Wörter, die sich auf intime Kleidungsstücke der „menstruierenden Personen“ beziehen (Frauen hat man sie früher nennen dürfen, ältere Menschen werden sich noch daran erinnern!), dann also werden solche Wörter – nun wegen Sexismusverdachts – genauso aus der Sprache verbannt werden wie im 19. Jahrhundert. Spröde und trocken wird unser Leben werden in einer Welt, in der schon einfache Komplimente als übergriffig und verabscheuenswert gelten.

In einer solchen Welt möchte ich nicht mehr leben.

Dieser Beitrag wurde unter Philosophie, Sprache und Literatur veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert