Alice Schwarzer und die Prostitution

Ach, wie schön, daß die Moral überall auf dem Vormarsch ist! Jetzt geht es endlich den Prostituierten und ihren Freiern an den Kragen.

„Ein Mensch ist keine Ware“, donnert Frau Schwarzer, die mit dem Kampf gegen die Prostitution ihr Lebens- oder besser gesagt: ihr Altersthema gefunden hat. Natürlich finden sich immer Prominente, die einen solchen Aufruf mit ihrer Unterschrift bekräftigen, damit das Gute über das Böse siegt. Aber es ist nicht immer alles so, wie es den Anschein hat, und je verbissener jemand für das Gute kämpft, umso mißtrauischer sollte man werden.

Erst einmal: die Frau als Ware. Da fällt mir eine Stelle in Musils Mann ohne Eigenschaften ein, in der der Autor über Leona folgendes schreibt:

Freilich, wenn man es durchaus Prostitution nennen will, wenn ein Mensch nicht, wie es üblich ist, seine ganze Person für Geld hergibt, sondern nur seinen Körper, so betrieb Leona gelegentlich Prostitution.

„So wird“, fährt Musil fort,

das, was den Laien als Ausschweifung erfreut, zu einem Beruf, der voll Logik, Sachlichkeit und Standesgesetzen ist. Gerade Prostitution ist ja eine Angelegenheit, bei der es einen großen Unterschied macht, ob man sie von oben sieht oder von unten betrachtet.

Alice Schwarzer, das ist kaum zu bestreiten, betrachtet Prostituierte und Freier von oben. Sie spricht über sie, sie spricht für sie, sie spricht an ihrer Stelle. Jede Prostituierte ist für sie ein Opfer, das nicht selbst sprechen kann. Jede Prostituierte braucht deshalb einen Vormund, der die gesellschaftliche Moral vertritt, und der beste und klügste aller Vormünder für alle Prostituierten der Welt ist natürlich – Alice Schwarzer. 

Das Schlimme an ihrer plakativen Argumentation – einer Art Agitprop für die höhere sexuelle Moral – ist nämlich, daß sie nicht mehr differenziert. Daß auch nur eine einzige Prostituierte ihre Arbeit freiwillig machen könnte, schließt sie vollständig und unerbittlich aus. Da duldet sie keinen Widerspruch. Da können ihr noch so viele Frauen das Gegenteil sagen, sie bleibt dabei: Prostituierte sind immer und überall Opfer. Deshalb (und das ist die gefährliche Seite einer solchen Argumentation) gibt es für sie auch nur eine Konsequenz: die vollständige und bedingungslose Abschaffung der Prostitution in allen ihren Facetten.

Wer wie Alice Schwarzer keinen Unterschied mehr macht zwischen „normalen“ Prostituierten auf der einen und Zwangsprostituierten, die aus Bulgarien und Rumänien herangekarrt und unter Gewaltanwendung ins Milieu gedrängt werden, auf der anderen Seite, der betrachtet die Welt eben wirklich von ganz, ganz oben – und muß scheitern, auch wenn noch so viele prominente Namen den Aufruf schmücken.

Es kommt nämlich gerade darauf an, auf diesem Unterschied zu bestehen, damit der Gegner eben nicht ganz allgemein „die Prostitution“ oder „der Freier“ ist, sondern: der Kriminelle, der Zuhälter, der Profiteur.

Letztlich geht es auch hier darum, ob man sich von der „reinen“, also von jeder Praxis abgehobenen und bloß moralischen Vernunft leiten läßt, oder von der „praktischen“ Vernunft, die am Ende immer die bessere Alternative ist.

Wer das „älteste Gewerbe der Welt“, das schon in Ephesos und Pompeji (und sicher lange davor) geblüht hat, allen Ernstes per Gesetz verbieten will, wird vielleicht durch Einschüchterung kurzfristig einen kleinen Erfolg haben, aber auf lange Sicht wird er scheitern – so wie auch das totale Alkoholverbot in den Vereinigten Staaten (1919-33) kläglich gescheitert ist und nur zu einem kräftigen Anstieg der Kriminalität geführt hat.

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