Hier noch einmal zur Erinnerung die ersten drei Strophen des alten Volksliedes „Die Gedanken sind frei“ (die beiden letzten Strophen handeln von Mädchen und vom Wein und sind hier nicht von Belang, aber die ersten drei haben es in sich):
Die Gedanken sind frei,
wer kann sie erraten?
Sie fliehen vorbei
wie nächtliche Schatten.
Kein Mensch kann sie wissen,
kein Jäger erschießen
mit Pulver und Blei:
Die Gedanken sind frei!Ich denke, was ich will
und was mich beglücket,
doch alles in der Still’
und wie es sich schicket.
Mein Wunsch und Begehren
kann niemand verwehren,
es bleibet dabei:
Die Gedanken sind frei!Und sperrt man mich ein
im finsteren Kerker,
das alles sind rein
vergebliche Werke.
Denn meine Gedanken
zerreißen die Schranken
und Mauern entzwei:
Die Gedanken sind frei!
Die Sprengkraft, die dieses Lied immer noch hat, zeigt sich jetzt wieder an einer ausnehmend dummen Entscheidung der Leitung des Dresdner Kreuzchors. Noch vor dem Beginn ihrer China-Tournee hat der Leiter des Chors, Peter Kopp, das Lied aus dem Programm genommen. Die Begründung (hier nachzulesen):
Alle Liedtexte hätten den Chinesen vorab in Übersetzung vorgelegt werden müssen, und bei diesem sei man davon ausgegangen, dass es die Zensur nicht passieren würde. Man habe, so Kopp, einen Eklat vermeiden wollen.
Wohlgemerkt: niemand hat das Lied abgelehnt, niemand hat seine Streichung verlangt oder gar die Tournee in Frage gestellt. Es ist allein der vorauseilende Gehorsam von Peter Kopp gewesen, eines der schönsten deutschen Volkslieder aus dem Repertoire zu streichen.
Es ist immer dasselbe jämmerliche Spiel, wenn es um China geht. Vor zwei Jahren haben unsere Museumsdirektoren in China eine Ausstellung eröffnet und mit ihren chinesischen Kollegen fröhlich Maotai-Schnaps getrunken, während Ai Weiwei ohne jede rechtliche Grundlage an einem unbekannten Ort festgehalten wurde. Ai Weiwei, so der Chef der Dresdner Kunstsammlungen damals, werde ohnehin „maßlos überschätzt“.
Politiker und Wirtschaftsvertreter fassen China schon immer mit Glacéhandschuhen an, sie wollen nur das eine: Geschäfte machen. Aber warum sickert die Feigheit vor diesem elenden Regime, das weder eine freie Presse noch rechtsstaatliche Normen kennt, in den deutschen Kulturbetrieb ein? Hat man das nötig?
Und wenn wir schon einmal über das deutsche Liedgut reden – hier eine Strophe aus Schillers Lied „An die Freude“:
Festen Muth in schwerem Leiden,
Hilfe, wo die Unschuld weint,
Ewigkeit geschwornen Eiden,
Wahrheit gegen Freund und Feind,
Männerstolz vor Königsthronen, –
Brüder, gält‘ es Gut und Blut –
Dem Verdienste seine Kronen,
Untergang der Lügenbrut!
In allen Sonntagsreden wird von den Bürgern Mut und Zivilcourage eingefordert. Aber wenn nicht einmal Chorleiter und Museumsdirektoren „Männerstolz vor Königsthronen“ zeigen, obwohl sie dabei heutzutage weder Gut noch Blut riskierten, dann ist es um die Courage hier im Land nicht gut bestellt. Vom schlechten Beispiel, das sie damit abgeben, ganz zu schweigen.