Der zurückgetretene Papst Benedikt hat sich zum ersten Mal wieder öffentlich geäußert. In einem Brief antwortet er dem Mathematiker und Wissenschaftshistoriker Piergiorgio Odifreddi, der ein bekennender und – wie die Zeitungen schreiben – „namhafter“ Atheist ist.
War das nötig? Ich hätte ihm abgeraten, sich auf eine solche Diskussion einzulassen, denn der heutige Atheismus à la Dawkins ist von einer so schlichten, ja geradezu primitiven Geistesart, daß eine Auseinandersetzung mit dem Florett ganz und gar unmöglich ist. Wie will man geistreich mit einem Gegner fechten, der nur den Holzprügel kennt?
Zugleich verstehe ich gut, warum Benedikt noch einmal das Wort ergreift. Die Versöhnung von Glauben und Vernunft war von Anfang an der rote Faden durch sein Pontifikat. Das ist ja gerade die historische Ironie, daß heute in der Theologie die Vernunft (und ich sage Vernunft, nicht platte Erbsenzählerei!) höher geachtet und tiefer verstanden wird als in den Naturwissenschaften. Bei den Naturwissenschaftlern herrscht heute weitgehend eine völlige Unkenntnis über die philosophischen Grundlagen des Erkenntnisvermögens vor. Was die abendländischen Philosophen von den Vorsokratikern über Plato und Aristoteles bis hin zu Kant und Schopenhauer darüber geschrieben haben, interessiert sie nicht.
Als habe das alles gar nichts mit ihnen zu tun!
Sie leben und arbeiten in ihrem naturwissenschaftlichen Schneckenhaus, und ob ein Philosoph die Grundlagen ihrer geistigen Existenz in Frage stellt oder nicht, ist ihnen völlig wurscht. Daß auch die Wissenschaft ihrerseits auf einer philosophischen Grundlage stehen muß, wenn sie nicht zur bloßen Erbsenzählerei ausarten soll, ist den meisten Wissenschaftlern – jedenfalls den Naturwissenschaftlern! – nicht mehr begreiflich zu machen. Sie usurpieren den Begriff der Vernunft, ja sie möchten ihn für ihre Zunft monopolisieren, obwohl sie doch in der Regel über die einfache fachspezifische Methodologie nie hinauskommen.
Deshalb fechten sie Kämpfe mit einer Theologie aus, die es gar nicht mehr gibt, statt sich der Philosophie und der spannenden, klugen und aufregenden Theologie unserer Zeit zuzuwenden. Noch viel plumper als einst Haeckel stürmen sie gegen einen längst untergegangenen Gegner los – weil sie ihn als Popanz brauchen, weil sie selbst nicht mehr die geistigen Kräfte und das philosophische Wissen haben, um sich mit der heutigen Theologie auf Augenhöhe auseinanderzusetzen.
Der Atheismus ist heute in einem erbarmungswürdigen Zustand – und ich sage das durchaus ohne jede Schadenfreude. Im Gegenteil: es macht einfach keinen Spaß, sich mit einem lautstarken und lärmenden, aber argumentativ schwachen Gegner zu messen. Und, noch wichtiger: eine dergestalt asymmetrische Diskussion bringt, ganz anders als die großen Atheismusdiskussionen des 19. Jahrhunderts, keinerlei Erkenntnisfortschritt.
Daran wird leider auch Benedikts Brief nichts ändern.
PS: Ich habe den vollen Wortlaut des Briefes noch nicht gefunden, und auf die Zitate, wie sie in Stern und Spiegel stehen, möchte ich mich nicht verlassen.