Das eine Gesicht: die iron lady. Gegenüber den ärmeren Ländern, etwa Griechenland, Italien oder Portugal, gibt sie – nach dem Motto „Alles hört auf mein Kommando!“ – die Thatcher. Da ist sie mitsamt ihrem Schäuble von einer geradezu eisernen Erbarmungslosigkeit. Schaut nur! – ruft sie Europa zu – so geht eine reiche, satte, selbstzufriedene Nation mit ihren armen Verwandten um! Und die Deutschen danken es ihr offenbar, die Popularität der Kanzlerin ist wie eingefroren – auf höchstem Niveau.
Das andere Gesicht von Angela Merkel sehen wir jetzt im globalen Abhörskandal. Von der Härte, mit der sie gern auf die armen Griechen einprügelt, ist da gar nichts mehr zu spüren. Ihren vielzitierten Satz, den ihr Regierungssprecher verlesen mußte – „Abhören von Freunden, das geht gar nicht!“ – hat sie seither am laufenden Band relativiert. Es gebe noch „Erklärungsbedarf „, heißt es, und das ist schon die härteste Formulierung, die ihr über die Lippen kommt. Vom völlig inkompetenten, überforderten Innenminister, der mit seiner USA-Reise unser Land international dem Gespött preisgegeben hat, wollen wir erst gar nicht reden. Er ist von der „befreundeten“ Supermacht USA mit genau der Herablassung abgefertigt worden, die er verdient hat.
Die Regierungsmitglieder aber, das kann nicht laut genug gesagt werden, haben einen Eid geleistet. So lautet er:
Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.
Hat die Kanzlerin ihren Eid gebrochen? Ich meine, ja. Sie hat die Pflicht, die deutschen Bürger vor jedem Bruch unserer Gesetze (und erst recht unseres Grundgesetzes!) zu schützen. Aber sie tut es nicht. Immer wenn es um die USA geht, wird sie kleinlaut. Heute morgen hat sie auf der Bundespressekonferenz folgenden Satz gesagt:
Als deutsche Kanzlerin kann ich mich nicht in ausländische Rechtslagen einmischen. Das gilt auch für die USA.
Wieder so ein schwammiger Satz, mit dem sie sich über das Ausmaß des amerikanischen Rechtsbruchs hinwegschwindeln will. Es geht doch nicht um „ausländische Rechtslagen“, es geht um die Rechtslage in Deutschland! Und die ist eindeutig. Die Ausspionierung jedes einzelnen Deutschen, sieben Tage in der Woche, 24 Stunden am Tag, und das auch noch mit der Speicherung aller unserer Lebensäußerungen auf den Servern der NSA, ist ein Rechts- und Vertrauensbruch von einem geradezu unvorstellbaren Ausmaß.
Warum redet eigentlich niemand von einem Obamagate? Denn dieser gerade in Deutschland mit so viel Sympathie empfangene Präsident hat die paranoide Ausspähungspolitik von George W. Bush nicht nur fortgesetzt, er hat sie offenbar noch einmal gesteigert und seinen Geheimdiensten völlig freie Hand gelassen. Das freilich ist in erster Linie ein Problem der US-Bürger. Ich bin zuversichtlich, daß sich auch jenseits des Atlantik bald eine Bürgerbewegung gegen diese ungeheuerliche Totalausspähung bilden wird.
Aber uns geht es natürlich erst einmal um unser Land, und da muß die Regierung Merkel erst noch zeigen, daß sie sich an ihren geleisteten Amtseid hält.
Mit ihrem peinlichen Drumherumgerede darf sie angesichts einer so fundamentalen Bedrohung unserer Bürgerrechte nicht davonkommen.