Horst Tappert oder: Die Gerechten haben wieder zugeschlagen!

Ach, wir leben in einer herrlichen Zeit. Die Gerechtigkeit ist heute überall auf dem Vormarsch. Besonders schön ist es, daß sie jetzt auch rückwirkend  – und posthum! – ausgeübt wird.

Nehmen wir nur einmal Horst Tappert. Er ist schon ein paar Jährchen tot, aber das wäre ja noch schöner, wenn man ihn in Frieden ruhen lassen würde. Nein, unsere investigativen Journalisten ruhen nicht eher, bis sie auch auf der letzten Weste eines Prominenten einen schwarzen (oder braunen) Fleck gefunden haben. Tappert war, wie ein eben zu Tage gekommenes Dokument zeigt, im Jahr 1943 Mitglied der Waffen-SS. Bei seinem (nicht genau datierbaren) Eintritt soll er gerade einmal 19 Jahre alt gewesen sein. Ob er überhaupt selbst eingetreten ist oder eingezogen wurde, weiß man nicht. Schon kurz darauf wurde er jedenfalls verwundet von der Front abgezogen. Die Bildzeitung raunt geheimnisvoll:

Ob und wie Tappert an Verbrechen beteiligt war, liegt im Dunkeln.

Dieses „ob und wie“ ist ein besonders infames Beispiel eines Journalismus, der aus bloßen Vermutungen und Andeutungen den Ruf eines Menschen zerstört.

Tappert ist tot, er kann sich nicht mehr wehren.

Er gehörte der ärmsten, bemitleidenswertesten Generation des vergangenen Jahrhunderts an. In den 20er Jahren geboren, war sie von Anfang an der perfiden Gehirnwäsche durch die Nazipropaganda ausgesetzt. Nur wer aus einem kritischen Elternhaus kam, hatte als Kind eine kleine Chance, der geschickten Umgarnung durch die Partei zu widerstehen, aber auch da schafften es nur wenige.

Unsere skandalgierigen Journalisten, sozusagen die Jäger des schwarzen Flecks, sind fast durchweg im bequemen und satten Milieu der Bundesrepublik aufgewachsen. Sie können (und wollen) sich nicht vorstellen, wieviel Mut dazu gehört hat, in einem totalitären Staat auch nur anders zu denken als die Partei. In in ihrer rabiaten Selbstgerechtigkeit wollen sie offenbar nur eines – jagen. Und je größer das Stück Wild ist, das  sie erlegen, um so zufriedener sind sie. Daß sie dabei von vielen Usern im Internet nach Kräften unterstützt werden, versteht sich von selbst – und auch, daß die Fernsehanstalten in Deutschland, Frankreich und den Niederlanden mit einer geradezu peinlichen Eilfertigkeit nicht nur Tappert, sondern auch seine persona, den Oberinspektor Derrick, zur Unperson machen und alle Wiederholungen der Serie mit sofortiger Wirkung abbrechen.

So wächst die Reihe des erlegten Großwilds von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr. Günter Grass, der halbe hessische Landtag, Walter Jens, Ratzinger und jetzt Tappert – sie waren alle noch fast Kinder, als sie gegen Ende des Krieges in die Mühlen der Kriegsmaschinerie gerieten. Da gehört schon viel Selbstgerechtigkeit und sehr, sehr viel Dummheit und Arroganz dazu, den ersten Stein zu werfen. Aber beim Großwild ist kein Halten mehr, da möchte man Trophäen haben.

Die Treiber sind unterwegs, und die Jäger haben den Finger am Abzug.

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