Jagdszenen überall in Deutschland: ein eher neues und offenbar sehr deutsches Phänomen. Das ganze Volk ist auf der Pirsch!
Man jagt, unter dem Schutz der Anonymität: Plagiatoren, „Steuersünder“ und Politiker, die etwas ausgefressen haben. Es sind Treibjagden, ständig werden Menschen „entlarvt“. Die Guten jagen die Bösen.
Aber: ist das wirklich so?
Ich habe jedenfalls kein gutes Gefühl, wenn Massen von Menschen über einen Einzelnen herfallen – das riecht nach Lynchjustiz. Da spielen sich die User zum Richter auf und erlegen das Wild aus dem schützenden Dickicht des Netzes. Ihr Gesicht müssen sie nicht zeigen. Wer kann sich noch wehren, wenn Zehntausende ihren fröhlichen shitstorm veranstalten?
Damit ich recht verstanden werde: wer in einer Doktorarbeit schwindelt, ist ein Betrüger, und wer Steuern hinterzieht, muß bestraft werden. Aber das sollten die Gremien (und nur sie!) tun, die dafür zuständig sind. Die User, die jetzt immer öfter zur Treibjagd blasen, halten sich für wunderbare Demokraten, aber sie sind es nicht – im Gegenteil: sie schießen feige aus dem Hinterhalt. Das hat mit unserer Bürgerdemokratie, in der man auch als Ankläger sein Gesicht zeigen muß, wirklich gar nichts zu tun. Mich erinnern diese Jäger eher an den Ku-Klux-Klan, dessen Mitglieder ihr Gesicht immer hinter weißen Kapuzen versteckt haben.
Besonders traurig ist es, daß sich auch die meisten seriösen Medien am Ende diesen Treibjagden anschließen. Der Fall Hoeneß ist da geradezu beispielhaft. Es mag ja sein, daß bei ihm die öffentliche Selbstdarstellung und die ganz normale, natürlich verheimlichte Geldgier auf besonders pikante Art auseinanderklaffen. Aber die Jagdszenen zeugen auch von einer ungeheuren Heuchelei. Ich möchte nicht wissen, wie viele der Journalisten, Chefredakteure, Verleger und Moderatoren, die jetzt fast genüßlich über ihn herfallen, selbst ihr Geld irgendwo mehr oder weniger legal und sehr gewinnbringend angelegt haben.
Selbst die F.A.Z., die ich sonst für ihre Seriosität schätze, meldet heute morgen triumphierend: „Horst Tappert war bei der Waffen-SS.“ Und sie fügt hinzu:
Über seine Zeit im Zweiten Weltkrieg hatte Tappert später generell nicht viele Worte verloren.
Ja, hätte er jetzt sein Leben lang mit einem Schild um den Hals herumlaufen sollen: „Ich war bei der Waffen-SS“? Und könnte es nicht sein, liebe Jagdfreunde, daß er sich einfach geschämt hat?