Europa – von der Demokratie zur Plutokratie?

Der Chefvolkswirt der zyprischen Laiki-Bank, Yiannis Tirkides, sieht keine Notwendigkeit mehr, daß das Parlament seines Landes über die folgenschweren Einschnitte noch einmal abstimmt. „Die gesetzgeberische Phase ist abgeschlossen“, sagt er. So weit ist es also schon in Europa, daß Bankmanager darüber entscheiden, ob das freigewählte Parlament ihres Landes über Fragen abstimmen darf, die für die gesamte Bevölkerung von größter Bedeutung sind. Das könne ja die Zentralbank abwickeln, meinte Tirkides lapidar. „Dazu bedarf es keiner Zustimmung des Parlaments.“

Wer hat also das Sagen in den europäischen Demokratien – die Parlamente oder die Finanzmärkte? Diese Frage zu stellen heißt, sie auch zu beantworten.

Gegenüber den machtvollen, selbstbewußten und gut vernetzten Finanzmärkten wirken unsere Parlamente manchmal wie müde, fast schon obsolete Institutionen aus einer längst vergangenen Zeit. Wo an der Börse und in den Ratingagenturen fast im Minutentakt über das Schicksal ganzer Völker entschieden wird, nehmen sich Parlamente, wenn sie denn überhaupt noch entscheiden dürfen, viel Zeit. Sie sind all das, was die Märkte nicht sind: schwerfällig, langsam, bürokratisch – mit einem Wort: hoffnungslos altmodisch. Die Zeit läuft in ihnen bedächtig ab, es wird verhandelt, auch geschachert, man läßt sich oft viel Zeit für die Entscheidungen. Der Broker, der in Sekunden Millionen hin- und herschiebt, kann darüber allenfalls milde lächeln. Er fühlt sich stark und jung und fast allmächtig.

Auf den ersten Blick also spricht alles für die Märkte, die in ihrer Geschwindigkeit und inzwischen auch mit ihren Budgets fast jedes Parlament in den Schatten stellen.

Soll man sich darüber freuen? Wirklich nicht.

Die Märkte, vor allem die Finanzmärkte, haben inzwischen eine Macht an sich gerafft, die in der Geschichte der Völker einzigartig ist. Sicher, auch die Fugger haben Staaten finanziert, aber sie haben das, wenn man sie mit den heutigen Finanzjongleuren vergleicht, dezent und sogar verantwortungsbewußt getan. Dezenz und Verschwiegenheit aber liegen unseren Finanzmärkten fern. Da wird öffentlich gedroht, erpreßt und herabgestuft, was das Zeug hält. Das sind keine Menschen mehr, die im Stillen ihre Geschäfte machen wollen, nein, sie brüsten sich mit ihrer Macht, und sie sind stolz darauf.

Und unsere Politiker? Sie machen eigentlich gar keine Politik mehr, sie sind nur noch die politische Agentur der Märkte. Auch gestern wieder hat Schäuble im Interview mit Marietta Slomka immer wieder ominös von den Finanzmärkten gesprochen, die Zypern schon lange keine Kredite mehr zur Verfügung stellten. Das scheint für ihn aber nichts Anstößiges zu sein, über die Absurdität, daß sich die Regierungen der europäischen Demokratien von den Zockern in den Banken vorführen lassen, hat er offenbar nie nachgedacht. So macht er sich letztlich, auch wenn er das natürlich strikt von sich weisen würde, zum Büttel dieser Märkte.

Und noch eines muß man zu diesen ganzen „Rettungen“ und „Hilfspaketen“, zur „Griechenlandhilfe“, zur „Zypernhilfe“ und zu den vielen, vielen „Rettungsschirmen“ (was für fürchterlich verlogene Wörter!) sagen. Wenn man Völker demütigt (so wie das die Siegermächte 1919 mit Deutschland getan haben), dann kann das zu verheerenden Folgen führen. Es ist nicht einmal so wichtig, wie hart die Auflagen der wohlhabenden Europäer gegen ihre armen Verwandten im Süden wirklich sind, es ist viel eher der schneidend arrogante Ton von Merkel und Schäuble, die Gnadenlosigkeit der Exekution, das vollständige Fehlen jedes freundlichen, verständnisvollen Wortes.

Diese Völker, über die wir jetzt unseren Haß und unsere Häme ausschütten, werden die Härte der wirtschaftlichen Maßnahmen irgendwann vergessen.

Die Demütigung nicht.

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