Rekorde, Ranking, Serienmörder – oder: Die Sucht nach immer mehr

Schneller, höher, weiter, aber vor allem mehr:  das olympische Motto, das dem Sport angemessen ist, hat sich inzwischen wie ein wucherndes Krebsgeschwür in alle Teile der Gesellschaft und vor allem in unsere Köpfe gefressen.

Nehmen wir den furchtbaren Amoklauf in Newtown. Fast jeder Bericht stellte ans Ende eine Art ranking list der bisherigen Massaker: welches waren die mit den bisher meisten Opfern, welches liegt auf dem zweiten, welches auf dem dritten Platz usw. Es wird ein journalistisches Siegertreppchen für Massaker aufgestellt. Da fehlen nur noch die Medaillen. Bei Bus- und Zugunglücken ist es nicht anders, da geht natürlich Eschede als klarer Sieger hervor. Und bei den Bürgerkriegen hat Syrien gute Chancen, zumindest aufs Treppchen zu kommen. Unglücke, Kriege, Massenmorde – das sehen wir heute alles sportlich.

Mit dem abstrusen und oft unfreiwillig komischen Guinness Book of Records (1955) hat es zwar nicht angefangen, aber der Erfolg dieses Buches überall auf der Welt war ein Menetekel. Heute will jeder, wenn er schon nicht Superstar werden kann, wenigstens ins Guinness-Buch der Rekorde. Die Rekorde selbst werden immer kindischer (à la „Der längste Hefezopf der Welt“), aber sie werden mit einem Ernst angestrebt, als ob es um den Endlauf über 100 m bei den Olympischen Spielen ginge.

Das Prinzip der Steigerung gilt fast überall. Nehmen wir nur die Fernsehkrimis: in den 50er und den beginnenden 60er Jahren ging es um Diebstahl und kleine Raubdelikte, später auch um bewaffnete Bankräuber. Dann kamen die ersten Morde (meist nur angedeutet durch den Schrei des Opfers, nie war Blut zu sehen). Das änderte sich bald: schon im Tatort war von Anfang an ein Mord pro Film Pflicht. Und wieder ein paar Jahre später kamen die ersten Serienmörder: hochintelligente Verbrecher, die raffinierte Spuren legten und sich mit dem Kommissar ein Katz- und Mausspiel lieferten. In schwedischen Kriminalfilmen geht es heute kaum noch ohne Serienkiller. Ein Mord ist nicht genug!

Auch sonst muß es immer mehr sein. Wer will zum Beispiel noch länger als ein paar Jahre am selben Arbeitsplatz verweilen? Das wird bei der nächsten Bewerbung nur negativ bewertet. Man will aufsteigen auf der nach oben unendlichen Karriereleiter: immer mehr Geld, mehr Einfluß, mehr Macht im Unternehmen. Früher ist man für seine Unternehmenstreue belohnt worden, heute wird man dafür bestraft.

Von den drei grammatischen Steigerungsformen – Positiv, Komparativ und Superlativ – sind (so scheint es) in unserer Gesellschaft nur noch Komparativ und Superlativ übriggeblieben. Und das ist sehr schade.

Es tut dem Menschen nämlich nicht gut.

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