Was haben Angela Merkel und Mitt Romney gemeinsam? Sie repräsentieren den Niedergang des guten Konservativismus. Konservativ sein: das bedeutet nämlich nicht reaktionär oder rückwärtsgewandt sein. Ganz im Gegenteil! Es bedeutet (wie es das lateinische conservare aussagt), das zu bewahren, was gut ist, und ansonsten die Dinge klug und behutsam weiterzuentwickeln.
Die Republikanische Partei in den USA war einmal – natürlich auf eine sehr amerikanische Art – eine konservative Partei. Das ist lange her. Nicht erst seit sich die ultrareaktionäre Teaparty-Bewegung gebildet hat, die kein Vaterland mehr kennt, sondern nur noch den brutalen Klassenkampf von oben, den Krieg der Reichen gegen die Armen, hat sie sich von allem losgesagt, was den guten Konservativismus ausmacht. Sie ist ohne jedes Mitgefühl mit den Armen, die „mühselig und beladen“ sind, sie gibt ihnen allenfalls einen Fußtritt. Wer arm ist, ist selbst schuld – das ist ihr neues Grundgesetz. Sie ist auch nicht mehr – wie früher – patriotisch. Ganz im Gegenteil! Allen, die nicht ihrer Meinung sind, begegnet sie mit purem Haß. Deshalb hatte es Obama ja so schwer. Die „andere Seite“, die das Repräsentantenhaus beherrscht, machte keine Kompromisse mit ihm, sie war obstruktiv von Anfang bis Ende. Selten hat es in den Vereinigten Staaten eine so schäbige und höhnische Opposition gegen einen Präsidenten gegeben. Daß man sich in zähen Verhandlungen am Ende – im Interesse des Landes – auf einen Kompromiß einigen könnte, war dieser von allen guten Geistern verlassenen Republikanischen Partei völlig fremd.
Jetzt hat sie die Quittung dafür bekommen.
Und Angela Merkel? Auch sie personifiziert den Niedergang des Konservativismus, aber natürlich in einer ganz anderen, deutschen Spielart. Das Gute bewahren und verteidigen und bei allen Veränderungen klug und behutsam vorgehen – das ist nun wirklich nicht ihr Ding. Für das, was im besten Sinne konservativ ist, hat sie nicht das geringste Gespür. Es interessiert sie einfach nicht. Sie ändert ihre politische Richtung, wie es ihr gerade in den Sinn kommt, und sie duldet (wie ihr Ziehvater Kohl) keine großen Geister neben sich (man denke nur an Pofalla, Kauder und ihresgleichen). Merkels Popularität ist, so gesehen, eines der letzten großen Rätsel der Menschheit.
Das im guten Sinne Konservative (wie es etwa der späte Fontane im Stechlin so schön und so menschlich beschrieben hat) verschwindet immer mehr aus der Politik. Im linken und grünen Lager ist es nicht anders. Auch da wird verramscht, was sich an Gutem und Richtigen im Lauf der Geschichte entwickelt hat. Die Liebe zur Natur spielt bei den Grünen keine Rolle mehr, und die soziale Gerechtigkeit – ein wirklich kostbares Gut – ist bei der Linken denkbar schlecht aufgehoben.
Wohin man in der Parteienlandschaft auch schaut, alles wirkt irgendwie billig und beliebig, es riecht nach Karriere und Verwaltung und Langeweile. Wie aufregend war Politik in den 50er, 60er und 70er Jahren! Da wurde noch um die großen Fragen des Landes erbittert (und oft auf hohem Niveau!) gestritten. Und heute? Da wird von der Kanzlerin über Pofalla und Kauder bis zum letzten Abgeordneten alles durchgewinkt, alles ist schon entschieden, bevor wir auch nur etwas davon ahnen.
Von Visionen mag man gar nicht mehr reden – man wäre ja schon froh, eine Partei zu entdecken, die außer der Machterhaltung tatsächlich noch irgendetwas will, die einen Plan, ein Ziel hat, irgendetwas, das außerhalb ihrer selbst liegt. Wo sind heute Politiker wie Brandt, Strauß, Wehner oder Carlo Schmid? Wo sind die wirklich großen Debatten im Bundestag?
Ja, es ist ein Niedergang. Und wir haben wahrscheinlich noch nicht einmal die Talsohle erreicht.