Ursula von der Leyen

Frau von der Leyen war nie meine Lieblingspolitikerin, aber inzwischen ist sie mir fast ein bißchen ans Herz gewachsen. Mag sein, daß unter Blinden der Einäugige König ist, aber wer sonst in dieser blassen Kabinettsriege hat den Mut, ohne Angst vor der Kanzlerin heiße Themen anzusprechen? Niemand.

So war es vor einiger Zeit mit dem Thema Altersarmut, so ist es jetzt mit der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich. Die Reaktion innerhalb der Koalition war in beiden Fällen die gleiche: sie reichte vom peinlichen Schweigen bis zum empörten Widerspruch. Wie kann man auch in der schönen neuen Welt der schwarz-gelben Regierung so unangenehme Themen aufwerfen! Die Kanzlerin, die ohnehin nur noch auf ihre Vergöttlichung (oder zumindest auf die Seligsprechung) wartet, beließ es bei milder, aber deutlicher Kritik.

Ihre Hofschranzen waren rabiater (dafür hat man sie ja).

Wohlgemerkt: es geht hier gar nicht um die Lösungsvorschläge, die Frau von der Leyen vorgetragen hat. Es geht darum, daß immer mehr Menschen, die in Vollzeit arbeiten, von ihrem Lohn nicht mehr leben können. Sie werden, wenn sie aus dem Arbeitsleben ausscheiden, von ihrer Rente nicht einmal die Miete zahlen können. Daß gleichzeitig die Reichen immer reicher werden, wie es die Ministerin für Arbeit und Soziales nachgewiesen hat, ist nur die Kehrseite ein und desselben Prozesses.

In Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel, das konnte man gestern im heute journal sehen, zahlt man selbst in den schicken (und gutgehenden) Hotels und Restaurants den Angestellten nur noch Hungerlöhne. Auf Nachfrage kommen die üblichen faulen Ausreden: der internationale Wettbewerb (!), große Investitionen, die kurze Saison usw.

Eine Weile können sich die Menschen so über Wasser halten, aber lange wird das nicht mehr gehen. Was nämlich die Unternehmen ihren Angestellten vorenthalten, muß am Ende der Steuerzahler über die Grundsicherung zuschießen. Es ist also ein System entstanden, das den Unternehmen gerade in den Billiglohnbranchen zu einer goldenen Nase verhilft, während die Beschäftigten und der Steuerzahler die Zeche zahlen.

Es ist nichts anderes als eine versteckte Subventionierung dieser Branchen. Freiwillig werden sie auf ihren Goldesel nicht verzichten, also muß man sie dazu zwingen, Löhne zu zahlen, von denen ihre Beschäftigten auch leben können. Das wird ohne gesetzliche Regelungen nicht gehen.

Auf jeden Fall hat Mut dazu gehört, in diesem blassen, manchmal fast gespenstisch wirkenden Kabinett ein so heißes Eisen anzupacken. Man kann nur hoffen, daß Ursula von der Leyen weiter so hartnäckig bleibt.

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