Um es gleich zu sagen: ich bin kein großer Freund von Martin Walser. Das mag ungerecht sein gegenüber einem großen Schriftsteller, aber hier geht es eben um ein Mögen oder Nicht-Mögen. Da spielt vieles hinein an Zuneigung, Abneigung, Chemie – aber auch an seiner Verwendung der Sprache. Und das ist vielleicht der Hauptgrund für meine Abneigung. Wenn ich einen seiner Aufsätze lese, frage ich mich am Ende oft: was wollte der Dichter eigentlich damit sagen? Und es ist genau das, was ich bei einem Schriftsteller ebenso unerträglich finde wie im ganz normalen Feuilleton. Ich will doch wenigstens wissen, was mir in dem Artikel gesagt werden soll! Einen Text, zu dessen Verständnis ich Entschlüsselungslogarithmen brauche, tue ich mir nicht an. Das alles beziehe ich wohlgemerkt nur auf Sachartikel. In der Literatur verhält es sich anders: sie haben, wenn sie echte Literatur sind, immer Tiefe, also Ebenen, Schichten, sie sind durch einmaliges Lesen nicht vollständig zu erfassen.
Martin Walser hat in der F.A.Z. vom 20. August (hier nachzulesen) eine Lanze für Europa gebrochen, und zwar für das geistige Europa, das ohne die Griechen nicht einmal denkbar ist. Wo wären wir heute – selbst im 21. Jahrhundert – ohne die Griechen? Kümmerlich ginge es zu bei uns ohne Aischylos, Sophokles und Euripides, ohne Sokrates und Plato und Aristoteles, ohne Hippokrates und die Vorsokratiker der ionischen Küste. Mit Walsers Artikel, der auch die griechischen Spätfolgen bis Hölderlin und Nietzsche beschreibt, bin ich vollständig einverstanden.
ABER …
Aber da ist wieder diese unbegreifliche Walsersche Unschärfe, die alles miteinander vermengt, was gar nicht zusammengehört. Denn auch Walser bindet in einer fast irrationalen Weise den europäischen Geist an die europäische Währung.
Hören wir ihn selbst:
Meine Zustimmung hat nur der, der die europäische Union auch als Währungseinheit will. Es gibt den Euro. Er ist mehr als eine Währung. Er ist ein Medium der Kommunikation beziehungsweise eine Sprache, die in Europa jeder versteht.
Niemand wird leugnen, daß die gemeinsame europäische Währung schön und bequem ist. Aber die Frage ist doch: ist sie notwendig? Für das geistige Europa, über das Walser im Fortgang seiner Gedanken dann redet, sicher nicht. Nirgends in seinem Artikel begründet er den notwendigen Zusammenhang von gemeinsamer Währung und gemeinsamer Kultur. Er sagt einfach: es ist so! Auch das ist so eine Walsersche Unschärfe, wie ich sie nicht mag. Was, um Himmels willen, haben Schäuble und der Euro mit Hölderlin und Nietzsche zu tun? Ich habe es selbst nach mehrmaligem Lesen nicht verstanden.
Wir sollten uns, finde ich, die so ungeheure Wichtigkeit des Euro weder von den Finanzmärkten noch von den jungen Abgängern der wirtschaftlichen „Elite“-Hochschulen einreden lassen. Es wäre schön, wenn man den Euro erhalten könnte, schon aus purer Bequemlichkeit beim Reisen, aber mit dem geistigen Europa, mit der Kultur und Geschichte unseres alten Kontinents hat er wenig zu tun.
Martin Walser zum Trotz.