Meine Gottesbeweise

Die christliche Geschichte, vor allem die des Mittelalters, ist voller Gottesbeweise. Viele von ihnen kennt heute niemand mehr, aber einige (etwa der des Anselm von Canterbury) sind zumindest unter Gebildeten noch bekannt. Sie haben freilich alle etwas Sophistisches, es wird nur aus Begriffen deduziert, und am Ende ist auch Gott nur ein Begriff.

Mit einem Wort: es ist wenig Fleisch an den Knochen.

Überhaupt ist ja schon das Wort „Gottesbeweis“ selbst leicht unverfroren. Wenn es nämlich einen Gott gibt, der alles erschaffen oder doch zumindest – als primum movens – den Grund für alles gelegt hat, wie kann dann ein kleines Menschlein auf die Idee kommen, es könne allein durch seinen Verstand die Existenz (oder Nicht-Existenz) Gottes „beweisen“?

Es gibt schon Hinweise, Hindeutungen, aber die sind immer eher subjektiv und hängen mehr mit der Lebenserfahrung als mit logischen Konstruktionen zusammen.

Mein erster Gottesbeweis:

Es sind nur vier Zeilen. Geschrieben wurden sie im Dezember 1944 in einem Gestapo-Gefängnis – von Dietrich Bonhoeffer. Es war ein Weihnachtsgruß im Angesicht des Todes an seine Verlobte und an die Familie:

Von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist mit uns am Abend und am Morgen,
und ganz gewiß an jedem neuen Tag.

Das Gedicht ist viel länger, aber es sind diese vier Zeilen, die man nicht mehr aus dem Sinn bekommt. Wenn einem Menschen solche Zeilen – den Tod vor Augen – möglich sind, dann kann man eigentlich nicht mehr zweifeln.

Mein zweiter Gottesbeweis:

Die Musik! Nein, nicht nur die Kirchenmusik – aber die natürlich auch. Das ist nun ein Feld, auf dem die katholische Kirche klar und deutlich im Hintertreffen ist. Sie hat nichts, was sich mit den protestantischen Kirchenliedern messen kann. Leider ist es so, daß man im evangelischen Gottesdienst (außer an hohen Feiertagen) fast nur noch die faden und melodisch dünnen modernen Lieder singt – oder gleich amerikanische Gospels. Die Anbiederung an den Zeitgeist ist leider seit einem halben Jahrhundert ein durch und durch protestantisches Phänomen. Aber das ist nicht unser Thema.

Die Musik – schon für Schopenhauer war sie eine Möglichkeit, die sonst unübersteigbare Mauer zwischen der sinnlichen und der transzendenten Welt wenigstens für einen Moment zu übersteigen. Sie bringt keinen Vorteil im survival of the fittest, auch die hartnäckigsten Darwinisten beißen sich an ihr die Zähne aus. Und es ist ja nicht nur die Musik. Es ist auch Goethes Über allen Gipfeln ist Ruh, es sind die Chagall-Fenster von St. Stephan in Mainz, es sind die romanischen und gotischen Kathedralen – jedes vollkommene Kunstwerk ist ein Gottesbeweis!

Mein dritter Gottesbeweis:

Der ist am schwersten zu erklären, vielleicht gar nicht. Es ist einfach die persönliche Gewißheit, daß er da ist. Diese Gewißheit ist eine merkwürdige Mischung aus Gefühl und Verstand, und oft ist es so, daß man gar nicht glücklich über sie ist. Man wächst ja in einer durch und durch säkularen Welt auf, in der die Wissenschaft die eigentliche Gottheit ist. Erst wenn man älter wird, merkt man, wie unbefriedigend die Erklärungen der Wissenschaft sind. Dann kommt man zur Philosophie – und zur Religion. Aber nicht zu einer naiven Feld-, Wald- und Wiesenreligion, nicht zu einem schönen Himmel, den man sich erfindet, um die Angst vor dem Tod zu verlieren. Das wäre mir zu billig, gegen solche Illusionen bin ich einigermaßen gefeit.

Dann kann es vorkommen, daß man sich, fast wider Willen, zu diesem christlichen Glauben hingezogen fühlt, auch weil er – anders als die alten Gesetzes- und Buchreligionen – eine fast unglaubliche moralische Schönheit und Radikalität hat. Jesus mag Jude gewesen sein, aber die im Neuen Testament überlieferten Jesusworte kommen zu uns wie aus einer anderen Welt.

Letztlich gibt es aber keinen anderen Gottesbeweis als den Glauben selbst. Der Theologe Heinz Zahrnt hat das zu einem Satz verdichtet, über den man eigentlich nicht mehr hinausgehen kann:

Ich glaube Jesus seinen Gott.

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