What an amazing show!

Als älterer Mensch (heute nennt man das ja Generation 60 plus) erinnert man sich noch gut an den Grand Prix Eurovision de la Chanson, wie er damals (vor der alles niederwalzenden Eroberung durch die englische Sprache) hieß. Die Bedingungen waren streng, das Bühnenbild spartanisch, fast minimalistisch. Nichts sollte von dem Lied selbst ablenken.

Gestern abend, beim Eurovision Song Contest, war alles anders. Fast alle Lieder waren musikalisch so schlecht, daß sie mit Disco- und Lichteffekten, Tanzeinlagen, Hintergrundfilmchen und kindischer Kostümierung aufgepeppt werden mußten. Nur Frankreich brachte ein wirkliches chanson, auch der italienische Beitrag war nicht schlecht. Der Rest war Grauen pur.

Ja, ich weiß – dieser Song Contest ist auch ein Event, man darf ihn nicht nur nach der musikalischen Qualität der Lieder beurteilen. Aber muß der Spaß wirklich so plump sein? Ist das alles nur lustig, wenn sich jeder zum Kaschperl macht und herumhampelt? Man braucht keine langen Spitzhüte, wenn man ein gutes Lied vorträgt!

Da mag die Organisation noch so perfekt sein, wenn die Lieder (oder, wie man heute sagt: die songs) nicht gut sind, nutzt alles nichts. Und sie waren gestern wirklich nicht gut.

Wenn man heute die ersten Kommentare dazu in den seriösen Zeitungen liest, denkt man: haben die vielleicht eine andere Sendung gesehen? Christian Pohl von der Welt meint, die Show sei „einsame Spitze“ gewesen. Die Sendung „war bombastisch und lief wie am Schnürchen“.

Die Stimmung in der Arena brodelte und die Inszenierung hatte Format. Großartig die 60 mal 18 Meter riesige LED-Wand und beeindruckend, als sie sich zur Punktevergabe teilte und damit die dahinter im Greenroom zitternden Künstler mit in die Arena holte.

Ey boah – 60 mal 18 Meter! Amazing! Nur: zitternde Künstler habe ich gestern nicht gesehen, eher wirkten viele, als hätten sie eben Kokain geschnupft.

Zu den Sängern aus Aserbeidschan, die vor dem Finale viel Spott über sich ergehen lassen mußten, schreibt Pohl:

Nichts könnte ihnen jetzt egaler sein, denn sie haben gesiegt.

Egaler??? Vielleicht sollte man die Texte doch noch einmal von einem erfahrenen Redakteur durchlesen lassen, bevor man sie veröffentlicht. Anke Engelke übrigens wird von der Welt dafür gelobt, daß sie sich

dafür nicht zu schade war, sich von Raab über die Schulter werfen zu lassen und ihr Hinterteil einem Millionenpublikum ins Gesicht zu strecken.

Wirklich ein schönes Kompliment.

Auch der Stern ist hingerissen von der „vor Farbbrillanz sprühender Riesenscreen“. Man lobt die „herrliche Dreistigkeit“ von Moldawien (Deutsche Welle) und meint am Ende, so der Focus:

Mit wahrer Liebe im Herzen ist alles möglich.

Für uns, die wir die Sendung bis zum bitteren Ende angesehen haben, war das alles eher ein Verstoß gegen das Verbot der Folter. Diesen fast immer bekloppten Darbietungen bis nach Mitternacht zu folgen, war eine Qual. Natürlich hätte man einfach abschalten und ins Bett gehen können. Aber dann denkt man:  es muß doch noch ein gutes Lied kommen! Eines, das einem nicht peinlich ist. Eines, bei dem man nicht am liebsten im Boden versinken möchte. Einfach nur ein gutes Lied, das einen angenehmen Geschmack hinterläßt.

Aber die Hoffnung war vergebens.

Und Lena? Sie hat im vergangenen Jahr gewonnen, weil sie noch unbefangen und einfach sie selbst war. Gestern sollte sie eine Rolle spielen und einen „mystischen Song“ abliefern, und daran ist sie gescheitert. Schlimm ist das nicht, aber mit dem richtigen Lied hätte sie sicher einen besseren Platz erreichen können.

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