Das ARD-Geheimpapier über die Talkshows

Manchmal dringt aus den unendlichen Weiten der öffentlich-rechtlichen Sender ein Lebenszeichen zu uns Erdlingen. Alles freut sich dann: „Sie haben Kontakt zu uns aufgenommen!“

Natürlich ist dieser Kontakt fast immer nur ein Versehen, denn eine echte Kommunikation mit uns gewöhnlichen Sterblichen wollen die Lebensformen in den Sendern nicht. Das hat jeder schon einmal erlebt, der den unbekannten Wesen einen Brief geschrieben hat. Da kommen, wenn er Glück hat, Word-Textbausteine zurück. Natürlich, heißt es da, sei man für jeden Brief dankbar, und alles werde sehr sorgfältig gelesen und bei den weiteren Planungen berücksichtigt!

Nur inhaltlich antworten – das will niemand von diesen Lebensformen. Machen Sie einfach einmal eine Probe aufs Exempel: fragen Sie den ZDF-Intendanten Thomas Bellut, warum er fast alle Qualitätssendungen seines Senders (und die gibt es!) im Mitternachtsprogramm versteckt und zur besten Sendezeit beinahe nur noch Sinnfreies sendet. Glauben Sie, daß Sie von ihm eine inhaltliche, argumentierende Antwort bekommen werden?

Niemals. Es kommen wieder nur Textbausteine. Und sonst gar nix.

Aber manchmal, wie gesagt, dringt etwas nach außen, was dorthin eigentlich gar nicht dringen sollte. So hat der Programmbeirat der ARD in einem „internen und vertraulichen Beratungspapier“ heftige Kritik an den eigenen Talkshows geübt (der Spiegel hat Auszüge veröffentlicht). Da ist im schönsten Deutsch von „Themendoppelungen und -verschleiß“ und von „Gästedoppelungen und -verschleiß“ die Rede, und man kommt – zusammen mit fast allen Fernsehzuschauern – zu dem Schluß, es gebe „zu viel vom Selben.“

Sehen Sie schon, worauf das alles hinausläuft? Natürlich – auf eine unfreiwillige, aber richtig gute und dazu noch kostenlose Promotion-Kampagne für den von mir gestifteten (undotierten) Hans-Olaf Henkel-Preis für ubiquitäre Talkshow-Präsenz!

Das Geheimpapier, das nun nicht mehr geheim ist, sagt schwarz auf weiß:

In den Sendungen tauchten zunehmend wieder die altbekannten Talkshowgäste auf, die bereits seit mehreren Jahren in den Runden sitzen.

Das wird dann fast buchhalterisch genau aufgelistet:

38 Personen seien im Zeitraum von September bis April mindestens dreimal zu Gast in den ARD-Talks gewesen. 14 Gäste mindestens viermal. Auch die vom Zuschauer gefühlte Allgegenwart von Ursula von der Leyen, Karl Lauterbach, Hans-Ulrich Jörges, Sahra Wagenknecht und Gertrud Höhler wird von der Statistik belegt. Sie waren fünfmal dabei, Heiner Geißler sogar sechsmal.

Ich habe freilich meine eigene „gefühlte“ Statistik, und da spielen der Philosoph Precht und vor allem der alte Grantler Peter Scholl-Latour eine große Rolle. Beide scheinen im ARD-Geheimpapier nicht vorzukommen. Bitte ergänzen!

Das Papier beurteilt die einzelnen Talkshows aber auch inhaltlich:

Bei Anne Will gebe es „immer wieder Sendungen mit wenig Erkenntnisgewinn.“ Sandra Maischberger „sollte bei der Auswahl skurriler Gäste darauf achten, keine öffentlich-rechtlichen Grenzen zu überschreiten.“ „Hart aber fair“ mit Frank Plasberg sei zu „soft“ geworden und habe „mit dem Motto, wenn Politik auf Wirklichkeit trifft, nicht mehr immer etwas zu tun“. Das übelste Zeugnis bekommt Star-Talker Günther Jauch. Der Moderator betreibe „Stimmungsmache“, seine Einspieler mit Passantenbefragungen „gaukeln eine vermeintliche Realität vor.“ In seinen Fragen nehme er meistens schon die „Antworten vorweg“.

Ach, man müßte – vielleicht unter dem Namen TVLeaks – viel öfter solche Geheimpapiere veröffentlichen! Da würde man nämlich sehen, daß viele Mitarbeiter in den Sendern (jedenfalls die klügeren!) genauso unzufrieden mit dem Programm sind wie die Zuschauer (die klügeren!). Gerade weil das so ist, weil immer noch so viele intelligente und sachkundige Menschen überall in den Sendern sitzen, so viele hervorragende Journalisten, Auslandskorrespondenten, Dokumentarfilmer usw. – gerade deshalb möchte ich zu gerne wissen: wer ist eigentlich dafür verantwortlich, daß alle diese guten Leute nicht zum Zuge kommen, und wenn überhaupt einmal, dann erst um Mitternacht? Wer bestimmt in den öffentlich-rechtlichen Sendern, daß um 20.15 fast nur noch Boulevard, Seichtes jeder Art und oft sogar purer trash gesendet wird?

Also, liebe Hacker von TVLeaks – ich will Namen hören!

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