Der Merkelismus – oder: Das Ende der europäischen Demokratien

Die Demokratie – die Herrschaft eines freien Volkes über sich selbst – kommt aus dem alten Griechenland. Auch wenn sie damals Männern und Freien vorbehalten und auch sonst in mancherlei Weise eingeschränkt war: die Idee selbst ist durch und durch griechisch – und europäisch. Kann man sich im alten Ägypten demokratische Verhältnisse vorstellen? Oder im Zweistromland? Oder bei den Hethitern? Nein, das war griechisch, und es war so etwas wie die Geburtsstunde Europas. Ein so freier Geist, wie er im alten Griechenland wehte, war nirgendwo sonst auch nur denkbar.

Die Frage ist nicht: weiß das Angela Merkel? Natürlich weiß sie das.

Das Problem bei ihr ist, daß es sie gar nicht interessiert.

Sie denkt – ja, wie soll man das am besten sagen? Sie denkt streng problembezogen. Wenn es ein Problem gibt, etwa die derzeitige Wirtschaftskrise, dann blendet sie erst einmal alles aus, was in ihren Augen nicht dazugehört. Die europäische Geschichte, der berechtigte Stolz eines Landes mit großer Tradition, übliche europäische Gepflogenheiten seit der Unterzeichnung der Römischen Verträge, das alles ist der Kanzlerin keinen Pfifferling wert. Sie isoliert das Problem, als habe es keinen emotionalen oder geschichtlichen Kontext. Für sie, das ist das Erstaunliche, haben Probleme überhaupt keinen Kontext!

Das erscheint dann manchem als vernünftig und sachbezogen, geradezu als Ausweis weiblicher Sachlichkeit, also als völlig testosteronfreie, sachliche, besonnene Politik. Deshalb neigen viele Frauen, selbst solche, die Merkel und der CDU ganz und gar nicht nahestehen, dazu, das als sozusagen weibliche und sympathische Politik einzustufen. Da kommt es dann zu den seltsamsten geistigen und sozialen Koalitionen – aber das ist wieder ein anderes Thema.

Merkel also, in ihrer irgendwie bodenständigen Art, klammert aus, was das Zeug hält. Sollen wir sie darum loben?

NEIN!

Wir könnten sie darum loben, wenn Demokratie so eine Art Kochrezept wäre, mit Zutaten und Kochanleitung. Aber Demokratie ist weit mehr. Alles, was die Kanzlerin in Gedanken ausschließt, ist historisch und politisch essentiell. Was sie mit einem Federstrich preisgibt, macht Europa erst aus. Der scheinbar problembezogene, der scheinbar sympathische Tunnelblick verbirgt und leugnet, was Europa in Wirklichkeit ist: ein Kontinent von Demokratien, die alle ihre Geschichte, ihre Besonderheit – und ihr Recht auf diese Besonderheiten haben!

Hier hat eben nicht einer das Sagen, weil er besonders wohlhabend und reich ist.

Der Merkelismus führt eine Art europäischer Plutokratie ein: wer fleißig, strebsam und reich ist, bestimmt. Und umgekehrt: wer ein bißchen ärmer, ein bißchen phlegmatischer ist, bekommt die Peitsche zu spüren. Und er kommt an den Pranger.

Was hat das mit dem guten alten Europa zu tun? Nichts. Denn das alte Europa existiert nicht mehr. Wir haben es zerstört – schon durch die hemmungslosen und amöbenhaften Erweiterungen, und erst recht jetzt, da eine deutsche Kanzlerin ausgerechnet ins Herz Europas – also nach Athen – einen Aufpasser, einen Kommissar, einen (wie die Griechen sagen) „Gauleiter“ schicken will. In Athen immerhin regiert eine dem eigenen Parlament verantwortliche Regierung, die mehr tut und ihrem Volk mehr zumutet, als man verlangen kann. Haben wir denn gar keinen Respekt davor? Wollen wir, daß in Athen nicht hundert, sondern tausend Suppenküchen aufmachen, um die Armen zu speisen? Wollen wir ein Land vollends ruinieren, das Europa so viel gegeben hat – sogar seinen Namen?

Ich jedenfalls möchte das nicht. Und ich schäme mich für eine solche Politik.

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