Über das Benehmen im Internet

Benehmen? Das klingt nach Knigge und den „Benimmbüchern“ der Adenauer-Zeit. Wie benehme ich mich richtig? Gehe ich vor oder hinter der Frau ins Restaurant? Soll ich ihr aus dem Mantel helfen? Ach, das waren noch Zeiten …

Wer zum ersten Mal in seinem Leben in einem Internet-Forum ist oder auf einer der vielen mailing lists, hat andere Sorgen. Hier herrscht Krieg. Es wird nicht mit dem Florett gekämpft, sondern mit der Dachlatte. Oft genügt ein Schlüsselwort wie „Islam“ oder „Sarrazin“, und es beginnt ein sog. flame war, und schon drischt jeder auf jeden ein. Und zwar nicht argumentativ, sondern brutalstmöglich. Wer eine andere Meinung hat, wird vernichtet.

Ich erinnere mich noch an meine Zeit bei Compuserve. Das muß Anfang der 90er Jahre gewesen sein. Compuserve war ein Online-Dienst mit strengen Regeln. Es gab Foren zu allen denkbaren Themen, aber alle waren moderiert. Sobald sich jemand ungehörig benahm, wurde er ermahnt und – wenn er sich renitent zeigte – aus dem Forum geworfen. Also ging man höflich miteinander um. Kein Thema, bei dem einem damals nicht geholfen wurde! Auch auf dumme Fragen erhielt man geduldige Antworten.

Heute muß man solche Fragen schon sehr devot formulieren und immer wieder betonen, daß man wirklich niemanden mit seiner Unkenntnis beleidigen möchte und überhaupt – bitte, bitte! – doch nur diese eine kleine Frage hat. Und selbst dann kommen fast immer zornige, erboste Kommentare. Kannst du denn nicht erst mal im Archiv blättern, bevor du uns eine so dumme Frage stellst? Kannst du überhaupt lesen, stupid?

Eigentlich gehörst du überhaupt nicht hierher! – das scheint hinter den meisten Antworten zu stehen. Bei Compuserve wäre so ein Benehmen nicht möglich gewesen. Aber Compuserve gibt es nicht mehr.  Höflichkeit auch nicht.

Die meisten Internetbenutzer, die so rabiat reden, sind männlich und unter dreißig. Sie haben es nie gelernt, moderat zu sein. Sie haben es auch nicht gelernt, milde zu reagieren, mit Verständnis und Nachsicht. Sie wollen nur draufhauen – jeder ein kleiner Schlagetot. Und ein Moderator, der sie zur Höflichkeit zwingt, ist nicht mehr da.

In der Anonymität lassen sie, wie es so schön heißt, die Sau raus. Dann fühlen sie sich stark und groß. Im wirklichen Leben sind sie es natürlich nicht, in der Schule, an ihrem Arbeitsplatz sind sie auch danach noch die gleichen armseligen Würstchen, die sie vorher waren. Aber wenn sie online sind, blähen sie sich auf und zeigen es den anderen mal. Da wird aus dem Schüler mit der Fünf in Deutsch der große Zampano, der User, der es mit der ganzen Welt aufnimmt.

Ich frage mich schon lange, was man daran ändern kann, aber ich werde eigentlich immer pessimistischer. Die Anonymität gehört zum Internet, das wird man nicht ändern können. Und junge Männer sind nun einmal junge Männer, die „gefährlichste Spezies der Welt“, wie es der Spiegel in einer Titelgeschichte im Jahr 2008 zutreffend formuliert hat.

Soll man sich die Flegelei also gefallen lassen? Nein, natürlich nicht! Also: dem Bürschchen antworten, aber nur einmal und so, daß er es nicht so schnell wieder vergißt.

Wird es ihm eine Lehre sein? Bestimmt nicht. Aber wenn seine Eltern es nicht geschafft haben, ihm Anstand beizubringen, dann werden wir das auch nicht schaffen.

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