Vor einigen Tagen habe ich über den klugen Artikel von Frank Schirrmacher über die Demokratie, Papandreou und die Finanzmärkte berichtet. Heute nun findet man in der F.A.Z. gleich zwei gänzlich verschiedene Reaktionen darauf in derselben Zeitung.
Im Kommentar auf der ersten Seite spricht einer der Herausgeber, Günther Nonnenmacher, von dem „Geschimpfe auf Märkte oder Banken“, das ihm offenbar lästig ist, und freut sich, daß nun in Europa endlich das „Realitätsprinzip“ Einzug gehalten hat (hier nachzulesen). Für ihn sind die „politischen Eliten“ schuld an allem:
Und was ist mit der Souveränität? Und wie steht es mit der Demokratie in den nun unter Kuratel gestellten oder überwachten Staaten? Die Grenzen ihrer Souveränität haben die Märkte den betroffenen Staaten aufgezeigt: Man kann nicht endlos auf Pump leben, ohne dass die Gläubiger irgendwann Angst bekommen, sie könnten ihr Geld nicht mehr sehen.
Hier schwingt sichtlich eine klammheimliche Freude mit, daß die „Märkte“ endlich einmal ihre Macht gezeigt haben. Die Antwort Nonnenmachers auf Schirrmacher (gänzlich verschiedene Macher unter sich!) besteht in der völligen Verleugnung der Veränderungen, die sich in der Finanzwelt in den letzten Jahren vollzogen haben. Er schreibt, als ob es noch die guten alten „Bankiers“, die verantwortlich handelnden, seriösen Geschäftsleute in den Banken gäbe – aber die hat man lange aus ihren Stellungen herausgemobbt, damit eine neue, junge, von jeder Moral, von jeder Verantwortung entbundene Generation von Spielern und Zockern mit viel „Risikoappetit“ die Schaltstellen in der Finanzwelt übernehmen kann. Sie kommen alle aus den bekannten Eliteschulen und -universitäten, sie haben – wenn sie nicht Einzelkämpfer bleiben – ihre Seilschaften und beherrschen inzwischen alles. Wie sonst könnte ein einzelner Milliarden verzocken, ohne entdeckt zu werden! Hier ist, wenn auch nicht immer kriminelle, so doch asoziale Energie in einem Ausmaß vorhanden, wie man sie sich noch vor zehn oder zwanzig Jahren nicht hat vorstellen können.
Diese „Eliten“, die in den Gefängnissen besser aufgehoben wären als an den Schaltstellen der Finanzmärkte, haben mit den Jahren soviel Macht und soviel Selbstbewußtsein angesammelt, daß sie nun nicht einmal mehr Hemmungen haben, ganze Staaten in die Knie zu zwingen. Die eigentliche Neuigkeit ist aber, daß sich die europäischen Regierungen zu fast devoten, willfährigen Marionetten dieser Märkte degradieren lassen. Das hat es vorher in dieser Radikalität nicht gegeben. Hochkarätige Gipfeltreffen, Konferenzen, G-20-Treffen eifern danach, es den Märkten und Ratingagenturen ja recht zu machen, sie zeigen einen Masochismus, eine Willfährigkeit, daß es einem fast übel wird.
Aber dann gibt es in derselben Ausgabe der F.A.Z. einen Artikel von Jürgen Habermas, der einen mit dem Blatt wieder versöhnt. Natürlich steht er im Feuilleton und nicht auf Seite eins, dafür ist er viel gescheiter als der wirtschaftfreundliche Kommentar von Nonnenmacher. Habermas (hier ist sein Artikel erfreulicherweise in voller Länge nachzulesen) möchte, daß Schirrmachers Beitrag nicht „mit dem schnellen Szenenwechsel verpufft“. Denn, so schreibt er:
Was hätte die dramatische Lage einer von „den Märkten“ kujonierten politischen Klasse besser entlarven können als die pompöse Aufregung des Chefpersonals von EU und Internationalem Währungsfond über den unbotmäßigen Kollegen aus Athen?
Leider hat das „Personal“ die eigene Lage ganz und gar nicht begriffen, die Präsidenten, Kanzler und Minister sind wahrscheinlich noch stolz darauf, daß sie im Interesse der „Märkte“ Papandreou in die Knie gezwungen und das Referendum verhindert haben. Aber man weiß es ja: es gibt Siege – und es gibt Pyrrhussiege.
Wenn Habermas über dieses „Personal“ spricht – denn genau das ist es ja, Küchenpersonal, das man in den Kreisen der Finanzmärkte nur durch den Hintereingang hereinlassen würde! -, dann redet er eben von einer von den Märkten kujonierten politischen Klasse:
Die Hauptdarsteller auf der Bühne der EU- und Euro-Krise, die seit 2008 an den Drähten der Finanzindustrie zappeln, plustern sich empört gegen einen Mitspieler auf, der es wagt, den Schleier über dem Marionettencharakter ihrer Muskelspiele zu lüften.
Papandreou ist unter dem Druck eingeknickt – das hätte auch einem Stärkeren widerfahren können. Das traurige, für alle Demokraten vernichtende Resümmee des „griechischen Dramas“:
Weniger Demokratie ist besser für die Märkte.