Sie kennen doch Günther Oettinger?
Fünf Jahre lang war er Ministerpräsident von Baden-Württemberg, und seine politische Kreativität hat er immer wieder bewiesen.
* 1989 wollte er das Motorradfahren auf öffentlichen Straßen „aus Sicherheitsgründen“ verbieten lassen.
* 2005 verblüffte er die Öffentlichkeit mit der Forderung, man solle in der deutschen Arbeitswelt nur noch englisch reden. Und die deutsche Sprache? Sie ist, so Oettinger in einem Interview mit dem SWR, nur noch „die Sprache der Familie und der Freizeit, die Sprache, in der man Privates liest.“
* 2006 plante er den Verkauf von unersetzlichen mittelalterlichen Handschriften aus den Beständen der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe zugunsten des Hauses Baden. Die Fachwelt sprach von einem „beispiellosen Akt der Barbarei“ (alles nachzulesen im Oettinger-Artikel der Wikipedia).
Seit dem vergangenen Jahr ist Oettinger EU-Kommissar für Energiefragen. In seine Zuständigkeit fällt auch die Förderung von sog. Biosprit, also der großflächige Anbau von „Energiepflanzen“, die dann als ökologisches Schmankerl in unseren Motoren verbrannt werden.
Inzwischen kennt man die verheerenden Auswirkungen dieser Politik (ich habe schon mehrfach darüber berichtet). Ein immer größerer Anteil der weltweit angebauten Pflanzen wird nicht mehr verzehrt, sondern in Motoren verbrannt. Da die bestehenden Flächen für den Energiehunger der Industrie- und Schwellenländer nicht ausreichen, rodet man bedenkenlos Regenwälder in einem kaum glaublichen Ausmaß (oft von korrupten Regimen toleriert).
Die Begründung der Politik für ihre katastrophale Fehlentscheidung bleibt die ominöse CO2-Bilanz, das Mantra der ergrünten Politiker aller Länder. Jedes Möbelhaus, jeder Supermarkt will heute klimaneutral sein – natürlich zertifiziert klimaneutral. Wo aber die CO2-Bilanz zum Jargon der Marketing-Abteilungen wird, ist es mehr als angebracht, die Auswirkungen der Energiepflanzen auf die CO2-Bilanz einmal unter die Lupe zu nehmen.
Das Fraunhofer-Institut in Kassel ist in einem Gutachten zu dem Schluß gekommen, daß die CO2-Bilanz von Bio-Kraftstoffen noch viel schlechter ist als die von fossilem Diesel. Prof. Jürgen Schmidt forderte, „die Förderung von Biokraftstoffen komplett einzustellen“. Das Gutachten wurde daraufhin so zusammengestrichen und verändert, daß die wissenschaftlichen Autoren es nicht mehr als ihre eigene Arbeit anerkannten. Auch diese Vorgänge fallen in die Zuständigkeit von Günther Oettinger, der sich freilich dazu nicht äußern wollte.
Jetzt schlagen 168 Wissenschaftler aus aller Welt Alarm, unter ihnen ein Nobelpreisträger und der für erneuerbare Energien zuständige Cheftechniker der Weltbank. Biosprit sei eben nicht klimaneutral, sagen sie, weil man die dramatischen Veränderungen in der Landnutzung nicht in die Berechnungen einbezeieht:
A policy that implicitly or explicitly assigns a value of zero is clearly not supported by the science.
Und weiter heißt es in dem Aufruf:
Wenn für die Nahrungsmittelproduktion genutzte Landflächen umgewandelt werden, um darauf Agrosprit-Pflanzen anzubauen, dehnt sich die Landwirtschaft an anderen Orten weiter aus. Dies führt häufig zu neuer Entwaldung und der Zerstörung natürlicher Ökosysteme … Es handelt sich dabei nicht um eine zukünftige Entwicklung, sondern dies findet bereits jetzt statt.
Um einen Anteil von 10% erneuerbarer Energien zu erreichen, müßten – so die Wissenschaftler – Millionen Hektar Ackerland mit Energiepflanzen bebaut werden. Die Folgen wären katastrophal: steigende Lebensmittelpreise durch die Verknappung der Anbaufläche, weitere Abholzung von Wäldern auf der ganzen Welt. Von CO2-Einsparungen könne da keine Rede sein.
Was sagt dazu Energie-Kommissar Oettinger? Nichts. Und unsere Grünen? Da hört man nur dröhnendes Schweigen.
Falls Sie eine kurze Zusammenfassung der Studie lesen oder eine Mail an Oettinger schreiben wollen, gehen Sie am besten auf die Internetseite der Organisation Rettet den Regenwald. Den Aufruf selbst (in englischer Sprache) finden Sie im Wortlaut, zusammen mit allen Unterzeichnern, hier.
Noch eine kurze Warnung: über diesen Aufruf dürfen Sie zwar innerhalb Ihrer Familie in deutscher Sprache diskutieren, aber nicht an Ihrem Arbeitsplatz, denn da wird ja nach der lex oettingeriana nur noch englisch geredet. Aber keine Sorge: rechts oben auf dieser Seite (unter der Überschrift Translate this blog) haben Sie Möglichkeit, den Artikel mit einem Mausklick ins Englische zu übersetzen. Das Sprachniveau der Übersetzung entspricht in etwa dem Englisch, wie es Oettinger selbst in seiner berühmten Rede an der New Yorker Columbia University im Dezember 2009 verwendet hat. Dieses Kabinettstück englischer Prosa mit seiner wundervollen Aussprache wird zwar auf youtube immer wieder gelöscht, aber mit etwas Glück kann man es anderswo noch finden. Sie wissen ja: das Internet vergißt nichts.