Um es gleich vorweg zu sagen: ich habe mich lange nicht mehr so für eine Veranstaltung geschämt wie für diese „Friedensdemonstration“ und das dumme und zynische Manifest von Schwarzer und Wagenknecht.
Dumm ist es, weil es die wichtigste, die allerwichtigste Lehre aus dem 20. Jahrhundert bewußt unterdrückt: daß die naive Friedensseligkeit, wie sie sich 1938 im Münchner Abkommen mit Hitler manifestiert, geradewegs in den Weltkrieg geführt hat. Für einen gefräßigen Diktator ist ein Waffenstillstand das Papier nicht wert, auf dem er geschrieben steht. Er würde die gewonnene Zeit nur dazu nutzen, die Kriegsproduktion noch einmal zu beschleunigen, um nach dem (ziemlich sicheren) Scheitern der Verhandlungen der Ukraine den Todesstoß zu versetzen. Der Konflikt um das Sudetenland ist eine Blaupause für den Ukrainekrieg: erst bricht man ein Stück des Nachbarlandes heraus, dann nimmt man sich den Rest. Schwarzer und Wagenknecht sind kluge Frauen, und wenn sie über diese Parallele geflissentlich hinweggehen und nur lautstark „Frieden! Frieden!“ rufen, dann muß da sehr viel Ideologie und alte Anhänglichkeit im Spiel sein – sei es die Prägung auf die „deutsch-sowjetische Freundschaft“ auf der einen oder eine nostalgische Sehnsucht nach der behaglichen alten Bundesrepublik auf der anderen Seite.
Viel schlimmer ist aber der Zynismus, der in dem Manifest ganz unverhohlen zutage tritt Es ist ein Manifest der Angst, und es will uns Angst machen:
Eskalation! Maximaler Gegenschlag! Jeder Tag bringt uns dem Weltkrieg näher! Angst um die Zukunft unserer Kinder! Rutschbahn Richtung Weltkrieg und Atomkrieg!
„Beide Seiten“ sollen Kompromisse machen – das ist schon in der Formulierung mehr als niederträchtig, denn es stellt den brutalen Angreifer auf eine Stufe mit seinem Opfer. Schuld an den ruchlosen Verbrechen sind dann nicht die Täter, sondern die Opfer, weil sie die Frechheit haben, sich gegen den Angreifer zu wehren, statt sich ihm möglichst schnell zu unterwerfen.
„Präsident Selenskyj macht aus seinem Ziel kein Geheimnis“, heißt es im Manifest. Und was ist sein Ziel? Will er etwa sein Land gegen einen skrupellosen Angreifer beschützen? Keineswegs. Sein Ziel, so steht es im Manifest, sind „Kampfjets, Langstreckenraketen und Kriegsschiffe“. So wird der gewählte Präsident der Ukraine, ein mutiger und sympathischer Mann, auf eine subtile und schäbige Art zum waffenlüsternen Kriegstreiber gemacht.
Hier erkenne ich übrigens sehr deutlich die Feder von Frau Schwarzer, die schon vor einem Jahr, kurz nach Beginn der Invasion, die militärischen Erfolge der ukrainischen Armee in einem Interview mit peinlich herablassenden Worten kleingeredet hat. Auch jetzt wieder schreibt sie, die Ukraine könne zwar „einzelne Schlachten gewinnen“, aber nicht den Krieg „gegen die größte Atommacht der Welt“. Fast hatte man das Gefühl, daß es ihr mit dem russischen Sieg gar nicht schnell genug gehen kann, damit sich die Deutschen wieder wie einst in der Bundesrepublik behaglich zurücklehnen und den Kampf gegen die Feinde der Demokratie wie damals anderen, vor allem den USA, überlassen können.
Die Liste der prominenten Erstunterzeichner liest sich deshalb auch wie ein Who is who der alten Bonner Republik. Vielen von ihnen – etwa Reinhard May, Hanna Schygulla und ein paar anderen – nehme ich die Sorge um den Frieden ab. Anderen nicht.
Dieses Manifest ist ein Manifest der Angst und der Feigheit. Und es ist ein Stück Demagogie von der ersten bis zur letzten Zeile. Hinter dem Friedensgerede und der „Sorge“ um „Hundertausende Tote“ versteckt sich in Wahrheit eine tiefe Verachtung für die Ukraine, der man offenbar das Recht abspricht, sich gegen einen mächtigen, verbrecherischen Angreifer zu verteidigen. Die beiden Damen wissen sehr genau, was sich in den von Rußland besetzten Gebieten zuträgt: Plünderung, Folter, Erschießungen, Vergewaltigungen – blanker Terror einer Soldateska, der man gesagt hat, daß sie mit den „Nazis“ und „Untermenschen“ machen kann, was sie will. Neuerdings schlägt man „Verrätern“ oder Deserteuren vor laufender Kamera mit dem Hammer den Schädel ein und stellt die Filme ins Internet. Kinder, die slawisch aussehen, werden zu Hunderten nach Rußland verschleppt, um sie zu russifizieren.
Es ist nicht abstrakt „der Krieg“, es sind Putins Soldaten und seine Söldner, die sich in den besetzten Gebieten benehmen wie einst die Landsknechte im 30jährigen Krieg. Für einen Moment freilich dachte ich, daß Wagenknecht diese Einsicht teilt, sagte sie doch in ihrer Rede in Berlin, daß Putin „wie ein Elefant im Porzellanladen über das internationale Parkett trampelt“. Aber beim zweiten Anhören merkte ich, daß ich mich verhört hatte. Nicht „Putin“ sagte sie, sondern „Baerbock“. Und schon wurde vom friedensbewegten Publikum „Baerbock muß weg!“ skandiert, und auch“Lügenpresse“ war wieder zu hören.
„Sie haben Angst vor uns“, rief Wagenknecht den Demonstranten triumphierend zu. Also ich, liebe Frau Wagenknecht, habe keine Angst vor Ihnen. Ich schäme mich nur für Sie.