Liebe Frau Schwarzer, liebe Frau Wagenknecht,

da Sie in letzter Zeit so gerne Briefe schreiben, greife auch ich zur Feder. Ich möchte Ihnen eine kleine Geschichte erzählen.

Es war einmal ein durch und durch böser König, der herrschte über ein großes Reich. Kaum hatte er seine Feinde im Innern zum Schweigen gebracht, da gelüstete es ihn, sich das eine oder andere Nachbarland einzuverleiben. Sein Blick fiel auf ein kleines Ländchen im Südosten seines Reiches, und weil dort auch Landsleute von ihm lebten, drohte er damit, sein gewaltiges Heer in Gang zu setzen. Da bekamen es die großen Reiche in Europa mit der Angst zu tun. „Frieden, Frieden!“ riefen sie, und in den Zeitungen war zu lesen: „Wir müssen mit dem bösen König verhandeln, daran führt kein Weg vorbei. Er ist zwar böse, keine Frage, aber es gibt nichts Wichtigeres als den Frieden!“ Und so trafen sich die vier Könige mit dem durch und durch bösen König, und sie flehten ihn an und bettelten: „So hab doch Erbarmen mit unserem Kontinent, lieber König! Schenke uns Frieden!“ Und der böse König, so hatte es den Anschein, ließ sich tatsächlich erweichen und versprach, nur jene Teile des kleinen Landes in Besitz zu nehmen, wo seine Landsleute wohnten. Da waren die Könige ganz aus dem Häuschen vor Glück, und einer von ihnen schwenkte bei seiner Rückkehr den Vertrag und rief seinen Landsleuten nicht ohne Stolz zu, daß er seinem Zeitalter den Frieden gebracht habe. Und alle Menschen lebten fortan glücklich bis ans Ende ihrer Tage.

So hätte das Märchen enden können. Aber es kam anders. Der König klatschte, als er wieder allein war, in die Hände und freute sich, daß ihm seine Eroberung gelungen war, ohne daß er einen einzigen Schuß abgeben mußte. Und es dauerte nicht lange, da nahm er sich auch den Rest des kleinen Landes, und er eroberte das nächste Land und das nächste und das übernächste, und bald brannte der ganze Erdkreis. Und als der große Krieg vorbei war, da wußten die Menschen (jedenfalls die klugen unter ihnen!), daß es falsch gewesen war, sich auf ein Blatt Papier und auf das Wort dieses ganz und gar bösen Königs zu verlassen.

Solche bösen Könige aber gab es von Anbeginn, und es wird sie immer geben. Und auch die Vergeßlichkeit des Menschen wird es immer geben. So konnte es geschehen, daß auch heute so ein böser, gefräßiger König sich ein Stück Land nach dem anderen einverleibt und schon wieder Menschen „Frieden! Frieden!“ rufen, statt den Anfängen zu wehren und dem bösen König in den Arm zu fallen.

„Peace for our time!“ mag 1938 ein naiver und menschlich verständlicher Wunschglaube gewesen sein. Wer aber im Jahr 2023 denselben Fehler macht, hat nichts aus der Geschichte gelernt. Auf seine Gutgläubigkeit wird er sich später einmal nicht berufen können.

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1 Antwort zu Liebe Frau Schwarzer, liebe Frau Wagenknecht,

  1. Alpenpanorama24 sagt:

    Vielen Dank für diesen tollen Beitrag! Die kleine Geschichte illustriert die Lage leider äußerst treffend und ich stimme dir vollkommen zu. Schade, dass Frau Wagenknecht und Frau Schwarzer das vermutlich nie lesen werden.

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