Viele sind ja heilfroh, wenn sie nach dem Abitur das lästige Latein endlich los sind. Bei mir war das nicht so. Latein war eines meiner Lieblingsfächer, und jetzt – im fortgeschrittenen Alter – ist die alte Liebe wieder entbrannt. Deshalb greife ich gelegentlich zu einem der römischen Schriftsteller – und bin immer wieder erstaunt, wieviel sie uns heute, noch nach zweitausend Jahren, zu sagen haben.
Der eine oder andere wird das Zitat vielleicht kennen. Es stammt von Gaius Sallustius Crispus, meist nur Sallust genannt. In seiner Schrift „De Catilinae coniuratione“ bekennt er:
Sed ego adulescentulus initio, sicuti plerique, studio ad rem publicam latus sum, ibique mihi multa advorsa fuere. nam pro pudore, pro abstinentia, pro virtute audacia, largitio, avaritia vigebant.
Das heißt in der Übersetzung von Wilhelm Schöne (Sallust – Werke und Schriften, Heimeran-Verlag 1960):
Ich selbst nun habe mich in früher Jugend zunächst aus innerer Neigung wie die meisten auf die Politik geworfen; dort aber war mir vieles widerwärtig. Denn statt Anstand, Zurückhaltung und Tüchtigkeit blühten Frechheit, Bestechlichkeit und Habsucht.
Natürlich ist jede Ähnlichkeit mit unserer Gegenwart rein zufällig!
Seine „schwache Jugend“, schreibt Sallust weiter, sei „in so lasterhafter Umgebung von Ehrsucht betört worden und in ihrem Bann geblieben“. Das ist freilich belegt: zu dieser Welt des „Wiederwärtigen“ hat auch Sallust selbst lange gehört. Als Statthalter soll er die Provinz Africa Nova regelrecht ausgeplündert und sich von dem geraubten Geld eine prächtige Villa in Rom – in bester Lage! – zugelegt haben. Nach Caesars Tod zog er sich aus dem politischen Leben zurück und wurde zu einem der ersten großen römischen Geschichtsschreiber.
Kann man sich am Werk eines Künstlers oder Wissenschaftlers auch dann erfreuen, wenn man weiß, daß er menschlich und moralisch von zweifelhaftem Charakter war? Eine schwierige Frage, die man sich ja auch bei den Schriftstellern und Filmschauspielern im Dritten Reich immer wieder gestellt hat. Eigentlich müßte man die Person von ihrem Werk trennen, natürlich. Aber so ganz schafft man das oft nicht.