Das Interview mit dem Titel „Wir schütteln nur den Kopf darüber“, das Novina Göhlsdorf, Redakteurin der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS), mit der „Expertin für Genderlinguistik“ Damaris Nübling geführt hat (es befindet sich leider schon hinter der Bezahlschranke), sollte man unbedingt bei der Ausbildung zukünftiger Journalistengenerationen berücksichtigen. Es zeigt aufs Blamabelste, wie sich eine Interviewerin ohne jede journalistische Distanz zur befragten Person zu einer bloßen Stichwortgeberin macht.
Es geht um den Aufruf von 235 deutschen Sprach- und Literaturwissenschaftlern gegen das Gendern. Schon in den Eingangssätzen zum Interview schreibt Göhlsdorf, es handle sich bei den Unterzeichnern um Menschen, „die sich … als studierte Philologen bezeichnen“. Wer so formuliert, weckt Zweifel. Sind sie wirklich Philologen – oder „bezeichnen“ sie sich nur so? Und dann das vernichtende Verdikt: „Darunter sind bisher rund 28% Frauen.“ Nur 28% Frauen! Skandalös!
Die erste Frage ist schon sehr geschickt formuliert. In den Medien sei die Rede davon, daß die Sprachwissenschaftler gegen das Gendern „Sturm laufen“. Fast könne man meinen, sagt die Interviewerin, es handle sich um einen „Aufschrei der deutschen Lingusitik schlechthin“. Und scheinheilig fragt sie: „Ist das so?“ Natürlich nicht, antwortet die Expertin für Genderlinguistik, die große Mehrheit der Unterzeichner „hat in der Linguistik nie gearbeitet, nie publiziert“. Es folgt dieser schöne Dialog:
Göhlsdorf: „Der Aufruf repräsentiert Ihre Sicht und die vieler Ihrer Kolleginnen und Kollegen also nicht?“
Nübling: „Wir schütteln nur den Kopf darüber.“
Dann kommt eine „Frage“, die eigentliche schon eine journalistische Bankrotterklärung darstellt. Von den Unterzeichnern, sagt die Interviewerin, scheinen nur 18 Prozent an einer Universität aktiv zu sein,
darunter: ein Spezialist für Hindi, ein Gräzist, ein psychologischer Spezialist für Suchtforschung, ein Wirtschaftsinformatiker, eine wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Turkistik, ein Experte für aserbaidschanische Dichtung.
Und sie fragt wieder scheinheilig:
Wie kompetent sind die bei Fragen deutscher Grammatik?
Die Genderlinguistin kann ihr Glück über so eine „Frage“ kaum fassen. Sie merkt: die Journalistin und sie sind ein Herz und eine Seele. Sie beschwert sich (allen Ernstes!), daß in dem Aufruf gegen das Gendern kein Vertreter der Genderlinguistik vertreten sei und fügt, ganz beiläufig, hinzu:
Unter den Unterzeichnenden [sic!] sind auch viele Emeriti und Pensionierte.
Kaum Frauen also auf der Liste, und dann auch noch lauter alte Männer! Die können ja nicht recht haben! Auch die deutsche Linguistik ist nämlich jetzt, wie alle Welt, jung und weiblich. Viele der Unterzeichnenden seien noch, sagt sie, „in einer anderen Zeit groß geworden“, in einer „Linguistik vom Sessel aus“. Da habe man jetzt andere Ansprüche: jetzt würden „riesige Sprachkorpora wie Zeitungen, Wissenschaftstexte, Belletristik, gesprochene Sprache untersucht“.
Klar, da kommen die alten emeritierten Männer – mancher Hundertjährige mag dabei sein – aus dem Staunen nicht heraus. So viele Sprachkorpora! Wie cool ist das denn!
Überhaupt sei der ganze Aufruf, sagt Nübling, „wenig wissenschaftlich“. Und schon fragt die FAS-Journalistin eifrig nach: „Worin zeigt sich das zum Beispiel?“ Und sie bekommt immer die Antworten, um die es ihr offenbar geht.
Das soll genügen. Nur eines noch. Im Aufruf der 235 Wissenschaftler wird der große deutsche Journalist Hanns Joachim Friedrichs mit dem folgenden Satz zitiert:
Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache; dass er überall dabei ist, aber nirgendwo dazugehört.
Frau Göhlsdorf aber möchte unbedingt dazugehören – und ist am Ende keine kritische Jounalistin, sondern nur eine bisweilen peinliche Stichwortgeberin.