Die katholische Kirche ist oft von einer geradezu quälenden Beharrlichkeit. Das ist nicht immer schlecht, aber bisweilen ist es wirklich ärgerlich. Die katholische Haltung zu ihren geschiedenen und wiederverheirateten Schäfchen können selbst brave Katholiken nicht mehr nachvollziehen.
Ich auch nicht.
Nach katholischem Recht endet die Ehe erst mit dem Tod eines der beiden Ehepartner. Sie ist, das betonen auch die deutschen Bischöfe immer wieder, unauflöslich. Nur in ganz, ganz seltenen Fällen darf ein Katholik ein zweites Mal mit kirchlichem Segen heiraten.
Die Begründung hört sich auf den Internetseiten des Bistums Trier so an:
Durch Christus erhält die Verbindung zwischen Mann und Frau eine neue ‚Qualität‘, wird zum Sakrament erhoben. Jede Ehe, die zwischen Christen geschlossen wird, ist demnach Zeichen für Gottes Neuen Bund mit den Menschen. Aus der Sakramentalität der Ehe folgt ihre Unauflöslichkeit: weil Gottes Zusage an die Menschen in Christus einen unwiderruflichen Bund begründet, kann das ‚Ja‘ der Brautleute am Altar als Abbild dieses Bundes nicht widerrufen werden. Durch ihr Jawort entsteht ein Band, das nicht gelöst werden kann.
Weil die Ehe also ein Zeichen, ein Symbol für etwas ganz anderes ist, muß sie bis zum bitteren Ende bestehen bleiben? Das ist nicht nur weltfremd, es ist böse und zynisch. Es will mir nicht einleuchten, daß ausgerechnet die katholische Kirche, die sonst ein so realistisches Menschenbild hat, hier (und nur hier!) vom Menschen geradezu Übermenschliches verlangt und ihn hart bestraft, wenn er diesem Anspruch nicht standhält. Fast jedem Sünder wird vergeben – nur nicht dem armen Menschen, dessen Ehe gescheitert ist. Das ist – in einem ganz wichtigen Bereich des menschlichen Lebens – ein Widerruf der christlichen Barmherzigkeit. Deus caritas est – Gott ist die Liebe, so heißt eine Enzyklika Benedikts XVI. Diese Aussage wird praktisch zunichte gemacht, wenn man mit Geschiedenen und Wiederverheirateten so umgeht, wie es die katholische Kirche tut. An die Stelle der Barmherzigkeit, einer der schönsten und wichtigsten christlichen Tugenden (keine andere Religion hat etwas Vergleichbares!), tritt hier eine bloß auf Buchstabendeutung, auf zweifelhafte Schriftinterpretation begründete Mitleidlosigkeit. Das ist umso ärgerlicher, weil es völlig unnötig ist. Über den Zölibat kann man streiten, über die Zulassung von Frauen zum Priesteramt auch. Aber die Bestrafung von Menschen, deren Ehe gescheitert ist, noch dazu mit einer so abstrakten, bloß philologischen Interpretation , ist schlicht und einfach verwerflich.
Als Begründung wird fast immer das Jesuswort „Was aber Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen“ (Matth. 19,6) angeführt. Dieses Wort richtet sich freilich gegen die damals gebräuchliche Sitte, daß Männer ihre Ehefrauen, wenn sie ihrer überdrüssig waren, einfach verstoßen konnten. Manche Schriftgelehrten erlaubten die Verstoßung der Frau schon, wenn sie nur ein Essen hatte anbrennen lassen. Es ist eine Frage dieser Pharisäer, auf die Jesus mit seinem sprichwörtlich gewordenen Satz antwortet.
Eine Rechtfertigung für die Aufrechterhaltung gescheiterter Ehen um buchstäblich jeden Preis liefert dieses Wort sicher nicht.
Ehen werden eben nicht im Himmel geschlossen, sie sind eine sehr irdische Angelegenheit. Und es gibt fast so viele Gründe für ein Scheitern, wie es Ehen gibt. Das alles ist menschlich, die Liebe geht eben manchmal im Lauf der Jahre verloren, man lebt sich auseinander, manchmal hat man einander nicht einmal richtig gekannt, als man geheiratet hat.
Das Fleisch ist eben schwach, das weiß die Kirche doch.
Dann darf man von einem Menschen auch nichts Übermenschliches verlangen. Daß er sich Mühe gibt, eine Ehe, die zu scheitern droht, doch noch zu retten, das darf man von ihm verlangen, und es ist auch gut, wenn man es ihm dabei nicht zu leicht macht.
Aber weiter darf man nicht gehen. Wenn die Sakramentalität der Ehe die Menschen ins Unglück stürzt, wenn sie der Grund ist, dem Menschen etwas abzuverlangen, was er nicht leisten kann, dann muß man sie neu interpretieren oder ganz abschaffen.
Jesus hat sich mit Gescheiterten und Unvollkommenen umgeben. Er hat sie so geliebt wie alle anderen Menschen. Deshalb ist die Haltung der katholischen Kirche in dieser Frage nicht nur weltfremd, sie ist zutiefst unchristlich. Sie verstößt gegen ihre größte und schönste Tugend – die Barmherzigkeit.