Unnütze Klöster und zeitraubende Feiertage

Auch wenn einige Leser des Buchs schon überdrüssig sein mögen, muß ich hier doch ein weiteres Zitat aus Egon Friedells Kulturgeschichte der Neuzeit anführen.

Was, fragt Friedell, bedeutet die Reformation für die europäische Kultur? Die Antwort fällt anders aus als in den meisten Handbüchern:

Sie bedeutet nicht mehr und nicht weniger als den Versuch, Leben, Denken und Glauben der Menschheit zu säkulasieren. Seit ihr und mit ihr kommt etwas flach Praktisches, profan Nützliches, langweilig Sachliches, etwas Düsteres, Nüchternes, Zweckmäßiges in alle Betätigungen. Sie negiert prinzipiell und zielbewußt aus platt kurzsichtigem Rationalismus eine Reihe von höheren Lebensformen, die bisher aus der Religiosität geflossen waren und allerdings vom Standpunkt einer niederen utilitarischen Logik kaum zu rechtfertigen sind: die „unfruchtbare“ Askese, nicht bloß die weltflüchtige und weltfeindliche, sondern auch ihre erhabenste Gestalt: die weltfreie; das „widernatürliche“ Zölibat; die „sinnlosen“ Wallfahrten; die „überflüssige“ Pracht der Zeremonien; die „unnützen“ Klöster; den „törichten“ Karneval; die „zeitraubenden“ Feiertage; die „abergläubische“ Anrufung der Heiligen, die als freundliche Beistände, gleichsam als Unterbeamte Gottes, den ganzen Alltag licht und hilfreich begleitet hatten; die „ungerechtfertigte“ Armenpflege, die gibt, um zu geben, ohne viel nach „Würdigkeit“ und „Notwendigkeit“ zu fragen. Alle Kindlichkeit weicht aus dem Dasein; das Leben wird logisch, geordnet, gerecht und tüchtig, mit einem Wort: unerträglich.

Ich, für mein Teil, habe den Protestantismus noch nie besser beschrieben gefunden als in diesen Worten.

Friedell schloß seine monumentale Kulturgeschichte übrigens 1931 ab. Sieben Jahre später stürzte sich der Sohn einer jüdischen Fabrikantenfamilie in den Tod, als zwei SA-Männer sein Haus betraten.

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