Diese Beschreibung der Zustände in Afghanistan unter der Herrschaft der Taliban kommt Ihnen sicher bekant vor:
In alles mischte sich diese klerikale Polizei, fast jede Äußerung natürlichen Lebensdrangs und unbefangenen Frohsinns wurde beargwöhnt, untersagt und bestraft. Jegliche Art von Festlichkeit und Unterhaltung: Spiel, Tanz, Gesang, Theater, sogar das Lesen von Romanan war verboten. […] Auf Fluchen, Kegelspiel, laute Scherze, leichtsinnige Reden standen hohe Bußen, auf Ehebruch der Tod.
Ja, nichts war gut in Afghanistan, wird da manch einer sagen – und wird sich gleich wundern. Denn diese Sätze handeln nicht von Afghanistan, auch nicht von Saudi-Arabien, sondern von frommen Protestanten. Sie waren Anhänger des strengen Reformators Johannes Calvin, der im Genf der Reformationszeit mit Zustimmung der Obrigkeit einen christlichen Gottesstaat errichtete. Den spanischen Arzt Michel Servet, der die Dreifaltigkeit leugnete, ließ Calvin zusammen mit seinem Buch auf dem Scheiterhaufen verbrennen.
Merke:
Wo geistliche und weltliche Macht in einer Hand sind, entsteht Unterdrückung und Unmenschlichkeit – in allen Religionen. Am menschenfreundlichsten geht es da zu, wo sich Staat und Religion gegenseitig daran hindern, ihren jeweiligen Willen bis aufs äußerste durchzusetzen.
PS: Das Zitat über Calvins Gottesstaat stammt wieder einmal aus Friedells Kulturgeschichte der Neuzeit, die ich hiermit meinen Lesern zum wiederholten Male ans Herz lege – übrigens auch ein schönes Weihnachtsgeschenk!