Stern Online hat extra einen Live-Ticker zum Papstbesuch eingerichtet. Weiß der Himmel, warum – denn eigentlich, so hat man doch gestern auf derselben Seite lesen können, nimmt den Papst niemand mehr ernst.
Heute erfahren wir auf stern.de zunächst Vertrautes: „Schwule machen mobil gegen Benedikt XVI.“ Und Hans Peter Schütz, der sonst über den „Tratsch hinter den Kulissen des politischen Berlins“ berichtet, ist empört, „wie sich deutsche Parteien von der katholischen Kirche maßregeln lassen“ – obwohl: ein neutraler Beobachter könnte viel eher den Eindruck haben, daß umgekehrt die katholische Kirche von den deutschen Parteien und Medien gemaßregelt wird.
Schütz jedenfalls nennt Benedikts Rede vor dem Bundestag, noch ehe sie gehalten wurde, eine „PR-Aktion für die katholische Kirche“, und er hat großes Verständnis und einen „hohen Respekt“ für die Abgeordneten, die den Papstrede fernbleiben wollen.
Der Staat darf mich zu keinerlei religiösen Handlung verpflichten. Etwa zur Papst-Verehrung im Bundestag.
Das mußte wirklich einmal gesagt werden, denn jeder, der Benedikt kennt, weiß ja, daß ihm nichts mehr am Herzen liegt, als von den deutschen Bundestagsabgeordneten angebetet zu werden! Dann gibt’s Schütz der Kirche aber richtig: Kreuze in den Klassenzimmern, das „sonntägliche Glockenläuten“, Steuergelder für die Kirche usw. usf. Das alles gipfelt dann unter dem Zwischentitel „Zwangsjacke Religion“ in folgenden Sätzen:
Unsere Gesellschaft hat sich mühsam von der Religion als gesellschaftlicher Verpflichtung befreit. Wer will freiwillig in diese Zwangsjacke zurück?
Aber schauen wir einfach mal, was die Stern-Journalisten in ihrem Live-Ticker so alles erzählen.
Es fängt schon damit an, daß der Papst aus dem Flugzeug steigt.
Der Sprecher im Fernsehen behauptet, dass das Oberhaupt der katholischen Kirche lächelt, mit Sicherheit lässt sich das aber nicht sagen.
Daraus macht der Stern die Überschrift: „Der Papst ringt um ein Lächeln.“
Bei der Begrüßung durch die deutschen Gastgeber wird der Papst dann „beide Augen fest zudrücken müssen“, denn unser Bundespräsident ist katholisch, aber wiederverheiratet, die Kanzlerin ist gar eine Protestantin! Der Papst könnte sogar, meint der Stern (ach, was sind wir lustig!)
den bekennenden Homosexuellen Westerwelle sowie Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit direkt zur Enthaltsamkeit auffordern.
Um 11.15 trifft Benedikt auf Schloß Bellevue ein, und der Stern beobachtet die Szene genau: „Die Soutane fliegt.“
In seiner ersten Rede sagt der Papst, er sei gekommen, um „mit den Menschen über Gott zu reden“. Auch da sieht man wieder, wie starrsinnig der alte Mann ist, will er doch partout nicht über das reden, was Deutschland wirklich bewegt: Schwule, Lesben und Kondome.
Um 12.50 ein weiterer Höhepunkt im Live-Ticker von Stern Online: der Linken-Abgeordnete Jan Korte lehnt die Papstrede ab. Warum tut er das? Natürlich: der Abgeordnete „spricht sich gegen die Haltung der Kirche zu Kondomen aus“. Das Kondom scheint inzwischen der geistige Dreh- und Angelpunkt des fortschrittlichen Berliners zu sein. Ohne Kondom läuft bei politischen Stellungnahmen gar nix mehr.
Um 13.20 berichtet unsere Kanzlerin über ihr Gespräch mit dem Papst. Sie habe deutlich gemacht, sagt sie über sich selbst, daß die europäische Einigung „Wohlstand, Demokratie und Freiheit“ bedeute. Sogar über die „Finanzmärkte“ habe sie mit Benedikt gesprochen.
Dann – unter der Überschrift „Mahlzeit, Heiliger Vater!“ – die wichtigste Info des Tages: der Papst speist zu Mittag.
Zu essen gibt es Saibling und Amalfizitrone mit Mandelstaub sowie Rinderbrust mit Rosmarin und Gartenbohnen. Als Dessert: Halbflüssiger Frankfurter Pudding mit Haselnuss und Sauerampfereis.
Dann kommt Benedikts Rede im Bundestag. Sie scheint nicht wenige Abgeordnete an die Grenzen ihrer Aufnahmefähigkeit gebracht zu haben. Der Stern zitiert einen „ratlosen Fernsehkommentator“:
Das war schwere Kost.
Was der Stern selbst an der Rede vermißt hat, liegt auf der Hand:
Viele Themen, die insbesondere den Laien in der Kirche auf den Nägeln brennen, hat Benedikt XVI. nicht angesprochen. Kein Wort zur Ökumene, nichts zum Zölibat, kein Wort zur Diskussion um weibliche Priester oder die Haltung der Kirche zu sexuellen Themen.
Let’s talk about sex – das scheint die ganze Welt dem armen Papst zuzurufen. Aber, starrsinnig wie er nun einmal ist, entgegnet er freundlich: Let’s talk about God.