Mauerlöwerlei, Schlachtplatter und Gulyassuppe nebst einem jüdischen Dichter namens Friedrich Schiller

Diesem antiquarischen Angebot konnte ich nicht widerstehen: Mimi Sheratons Buch „1,000 Foods to Eat Before You Die“. Darin führt uns die Autorin, die in den USA einen guten Ruf hat, in die Küchen der Welt. Gerichte aus aller Herren Länder stellt sie vor, von England bis Tahiti und von der Ukraine bis Kenia. Und natürlich auch Gerichte aus Deutschland.

Da wird es spannend. Man trifft nämlich auf die üblichen Verdächtigen, z.B. Brezln, Leberwurst, Gurkensalat, Königsberger Klopse, „Haxen“, Baumkuchen, Spätzle, Kartoffelsalat, Sauerbraten, Leberkäse, „Schwarzwälderkirschtorte“ und Berliner Pfannkuchen (auf hessisch Kreppel). Aber dann gibt es auch recht Merkwürdiges. Bei „Schlachtplatter“ und „Gulyassuppe“ kann man immerhin erahnen, was gemeint ist. Aber ist „Hirn mit Ei“ wirklich typisch für die deutsche Küche? Oder die „Biersuppe“? Und was bedeutet „Der Ganze Gans“?

Ganz und gar rätselhaft ist aber ein angeblich deutsches Backwerk, das Mimi Sheraton „Mauerlöwerlei“ nennt. Wenn man danach googelt, kommt als einziger Treffer eine Besprechung von Sheratons Buch im Guardian, in dem das Gericht wegen seiner „Unaussprechlichkeit“ (unpronounceability) auftaucht. Auch alle anderen Suchmaschinen kennen das Wort nicht. Man muß den englischen Text lesen, um der Lösung des Problems näherzukommen:

Mauerlöwerlei, or bricklayer’s loaves, are small, neat white-flour rolls whose rounded tops and oblong shape do indeed give them a somewhat bricklike aspect.

Es handelt sich beim „Mauerlöwerlei“ also um Brötchen (rolls), und den deutschen Namen übersetzt Sheraton mit „bricklayer’s loaves“. Bricklayer ist das englische Wort für „Maurer“, und loaf bedeutet „Brotlaib“. Wenn man beides miteinander kombiniert, kommt man nach längerem Probieren und Suchen auf ein Wort, das es tatsächlich gibt: „Maurerlaib“. Dabei handelt es sich freilich um ein Brot, das selbst in Bayern nur lokal bekannt ist.

Wie aber Mimi Sheraton auf das altertümlich klingende Wort „Mauerlöwerlei“ gekommen ist, wird wohl für immer ihr Geheimnis bleiben.

Zum Schluß nur noch zwei mißglückte Zitate aus dem Buch, die sich auf die deutsche Literatur beziehen. In dem Artikel „Sauerkraut“ zitiert Sheraton einen Vers von Heinrich Heine:

„You greeted me, my sauerkraut, with your most charming savor“ – From „Ode to Sauerkraut“ by Heinrich Heine.

Eine „Ode an das Sauerkraut“ gibt es freilich nicht. Die berühmten Verse stammen aus „Deutschland – Ein Wintermärchen“, und sie sind auch nicht so bieder lobend gemeint, wie die Autorin sie offenbar verstanden hat. Sie sind eingebettet in einen Reisebericht. Heine war nach vielen Jahren im Pariser Exil noch einmal nach Deutschland zurückgekehrt und beschreibt sein erstes Essen in der Heimat:

Von Köllen war ich drei Viertel auf acht
Des Morgens fortgereiset;
Wir kamen nach Hagen schon gegen drei,
Da ward zu Mittag gespeiset.

Der Tisch war gedeckt. Hier fand ich ganz
Die altgermanische Küche.
Sei mir gegrüßt, mein Sauerkraut,
Holdselig sind deine Gerüche!

Gestovte Kastanien im grünen Kohl!
So aß ich sie einst bei der Mutter!
Ihr heimischen Stockfische, seid mir gegrüßt!
Wie schwimmt ihr klug in der Butter!

Jedwedem fühlenden Herzen bleibt
Das Vaterland ewig teuer –
Ich liebe auch recht braun geschmort
Die Bücklinge und Eier.

Wie jauchzten die Würste im spritzelnden Fett!
Die Krammetsvögel, die frommen
Gebratenen Englein mit Apfelmus,
Sie zwitscherten mir: »Willkommen!«

»Willkommen, Landsmann« – zwitscherten sie –,
»Bist lange ausgeblieben,
Hast dich mit fremdem Gevögel so lang
In der Fremde herumgetrieben!«

Es stand auf dem Tische eine Gans,
Ein stilles, gemütliches Wesen.
Sie hat vielleicht mich einst geliebt,
Als wir beide noch jung gewesen.

Sie blickte mich an so bedeutungsvoll,
So innig, so treu, so wehe!
Besaß eine schöne Seele gewiß,
Doch war das Fleisch sehr zähe.

Es ist die für Heine typische Stimmung, in der jede aufkommende Sentimentalität sofort ironisch gebrochen wird. Von einer „Ode ans Sauerkraut“ also keine Spur. Das ist freilich, wenn man kein native speaker ist, schwer zu erkennen.

Ein anderer Satz in Sheraton’s Buch ist viel bedenklicher:

The Marbach-born Jewish poet Friedrich Schiller (1759-1805), whose poems were banned by the Nazi regime, was previously honored by way of two food specialties, both called Schillerlocken.

An diesem Satz stimmt – von Schillers Geburtsort abgesehen – buchstäblich nichts. Wie um Himmels willen kommt Sheraton auf die Idee, daß Schiller Jude war? Und daß seine „Gedichte“ vom Naziregime verboten wurden? Im Gegenteil, Schiller wurde von Anfang an von den Nationalsozialisten als eines ihrer großen Vorbilder betrachtet. An seinem Geburtstag fand jedes Jahr in Marbach eine „Schillerfeier“ statt, und im „Schillerjahr“ 1934 las man aus Anlaß seines 175. Geburtstags unter anderem dies (zit. nach Joseph Wulf, Literatur und Dichtung im Dritten Reich, S. 392-94):

Schiller als Nationalsozialist! Mit Stolz dürfen wir ihn als solchen grüßen. Mit Stolz und Dankbarkeit. Der Nationalsozialismus schöpft aus den gleichen, ewigen Kraftquellen deutscher Art, aus denen auch Schiller schöpfte. In seinem Werke aber hat der Dichter dem erwachenden Deutschland eine weitere unversiegbare Kraftquelle hinterlassen. Aus ihr wollen wir schöpfen und trinken. Aus ihr wollen wir auch unseren dürstenden Volksgenossen Kraft spenden. Unaufhaltsam marschieren unsere Kampfkolonnen. Kameraden, die den Opfertod starben, und die Toten aus den Kriegen der deutschen Vergangenheit „marschieren im Geist in unseren Reihen mit“. An der Spitze aber, dem leuchtenden Hakenkreuzbanner voran Schreiten Seite an Seite mit den lebenden Führern die großen Geister, deren Leiber die Erde deckt. Aufrecht und stolz ragt unter ihnen die Lichtgestalt Friedrich Schillers hervor.
(Hans Fabricius)

In Schillers soldatischer Natur lebt jener echte Ordensgeist, der auf Unterwerfung und Gehorsam heldischer Kriegernaturen gerichtet ist. Von hier erst erschließt sich Schillers überragende Bedeutung als eines politischen Dichters. Er hat nicht nur das politische Drama der Deutschen begründet, indem er als erster Deutscher große Geschichte, Weltgeschichte von inneren Erlebnissen her bewegte und durchgestaltete; er hat in dieses Drama eine wahrhaft politische, echt geschichtsschaffende Kraft einfließen lassen, indem er es mit Willensentscheidungen und überindividuellen Überwindungen, mit Todesentschlossenheit und Einsatzwilligkeit, mit Härte und Schicksalstrotz, mit bewusster Wahl des Untergangs und heldisch-feierlichem Sterben anfüllte.
(Walther Linden)

Einzige Ausnahme inmitten dieser grotesken Einverleibung war der Wilhelm Tell. Er durfte von 1941 an auf ausdrücklichen Wunsch des Führers nicht mehr aufgeführt werden, auch aus dem Kanon der Schullektüre wurde er gestrichen. Der Mord an einem Tyrannen sollte auf deutschen Bühnen nicht mehr gefeiert werden.

Das alles hätte auch Mimi Sheraton mit ein paar Mausklicks in Erfahrung bringen können.

Dieser Beitrag wurde unter Sonstiges, Sprache und Literatur veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert