Man hat in siebzig Lebensjahren ja schon viel erlebt, aber daß vom Land Hessen, also von Amts wegen, ein mit 10.000 Euro dotierter „Preis für lesbische Sichtbarkeit“ ausgelobt wird, zeigt mir, daß das Leben immer noch für eine Überraschung gut ist.
Manchmal ist man im übrigen froh, daß man über eine Nachricht hinweggelesen hat, so auch hier, denn die Übergabe des Preises „im Rahmen eines feierlichen Festakts“ an die Sozialpädagogin Veronica King fand schon im Oktober statt – und ist spurlos an mir vorübergegangen. Der Hessische Minister für Soziales und Integration, Kai Klose (Die Grünen), hat es sich natürlich nicht nehmen lassen, den Preis persönlich zu überreichen. Eine „sehr würdige Preisträgerin“ sei Veronica King, sie sei
als schwarze lesbische Frau erkennbar, teile ihre Erfahrungen und arbeite mit viel Energie daran, Strukturen zu öffnen und weiterzuentwickeln.
„Den lesbischen Aktivismus verknüpft sie dabei gekonnt mit Antirassismus- und Bildungsarbeit.“
Nun muß man zwei Dinge voneinander trennen. Die Diskriminierung von Homosexuellen ist in einer liberalen Demokratie (und die liegt mir sehr am Herzen!) unannehmbar, sie verstößt nicht nur gegen unsere Verfassung, sie muß auch in der Gesellschaft, also im gewöhnlichen Alltag, bekämpft werden. Das ist freilich weithin schon erreicht, wenn man von ein paar sehr ländlichen und sehr frommen Gegenden absieht.
Etwas anderes ist die Überschwemmung der ganzen Gesellschaft mit Lobpreisungen eines spezifisch schwulen oder lesbischen Lebensstils, den viele (wenn nicht die meisten!) homosexuellen Menschen gar nicht teilen. Mit der jeweiligen sexuellen Orientierung ist man auf die Welt gekommen, es ist also keine Leistung, und wenn man hin und wieder liest, jemand sei stolz, schwul zu sein, dann ist das völlig absurd, denn stolz kann man nur auf etwas sein, das man durch eigene Leistung erreicht hat. Die sexuelle Orientierung gehört gewiß nicht dazu – sie ist einfach gegeben. Und was die Sichtbarkeit in der medialen Öffentlichkeit angeht, so sind Schwule und Lesben dort inzwischen wirklich nicht mehr unter-, sondern im Verhältnis zu ihrer Zahl überrepräsentiert. Wer Fernsehkrimis schaut, weiß, daß praktisch kein einziger Film mehr ohne Schwule, Lesben oder Transen auskommt. Drehbücher ohne Rollen aus dem LGBT-Milieu werden vermutlich gar nicht mehr angenommen. Das gilt auch für Farbige: muß ein Kommissar oder ein Staatsanwalt ersetzt werden, dann ist die Rollenbeschreibung Frau/jung/farbig ideal, während Mann/alt/weiß gänzlich chancenlos ist.
Hier hat ein ideologisch begründeter Proporz- und „Gerechtigkeits“-Fanatismus eingesetzt, über den man nur den Kopf schütteln kann. Er betrifft ja nicht nur die Homosexualität. Nehmen wir die Veganer, die (im Unterschied zu den Vegetariern!) eine verschwindend kleine Minderheit bilden, aber in den Medien mit einer Ehrfurcht behandelt werden, als handele es sich bei ihnen um Vertreter der heiligsten und moralischsten aller denkbaren Lebensformen. Fast niemand, der auf Straßenumfragen interviewt wird, traut sich noch, etwas gegen sie zu sagen. Oder die (Sprach-) Feministinnen: auch sie eine kleine Minderheit, die es aber geschafft hat, ihren unheilvollen Einfluß auf die deutsche Sprache weit in die Medien und in die Gesellschaft hineinzutragen. Obwohl diese Minderheiten, jede für sich, sehr unterschiedliche Ziele haben, ist ihnen strukturell eines gemeinsam: sie begnügen sich nicht damit, ihre selbstverständlichen Rechte wahrzunehmen, sie wollen mit ihren Themen und Zielen der Mehrheitsgesellschaft – und ich gebrauche dieses Wort sehr bewußt – die Show stehlen. Ihr (nicht nur medialer) Herrschaftsanspruch geht weit über die eigene Klientel hinaus. Deshalb werden Vertreter der Mehrheit oft herablassend behandelt. Die oft unflätige Beschimpfung der „Fleischfresser“ durch rabiate Veganer (man besuche ein beliebiges Internetforum!) ist ein trauriges Beispiel dafür. Und Veronica King etwa, die oben genannte Preisträgerin, übernimmt kritiklos den feministischen Begriff der „Heteronormativität“, der in der (politisch immer einseitigeren) Wikipedia so definiert wird:
Heteronormativität bezeichnet eine Weltanschauung, welche die Heterosexualität als soziale Norm postuliert.
Falsch: Heterosexualität wird nicht als soziale Norm postuliert, sie ist die biologische und soziale Norm. Wenn je nach Definition an die 90% der Menschen heterosexuell sind, dann ist das ja wohl die Norm. Da helfen keine Sophismen.
Zugrunde liegt eine binäre Geschlechterordnung … Das heteronormative Geschlechtermodell geht von einer dualen Einteilung in Mann und Frau aus, wobei es als selbstverständlich angesehen wird, dass eine heterosexuelle Entwicklung vorgesehen ist und damit der „normalen“ Verhaltensweise entspricht.
Wieder falsch: nicht die Anschauung von der Welt ist binär oder dual, sondern die Welt selbst. Wer die „Einteilung in Mann und Frau“ nicht der Natur, sondern einem „Geschlechtermodell“ zuschreibt, hängt einer pseudowissenschaftlichen Ideologie nach, die sich nur deshalb an den Universitäten hat ausbreiten können, weil sie auf allen Ebenen politisch vom linken und grünen Lager unterstützt und mit Professuren überhäuft wird. Eine wirklich freie Diskussion darüber ist kaum mehr möglich, weil man sich Andersdenkende vom Leibe hält (d.h. von Diskussionen auslädt oder einfach nicht zu Wort kommen läßt).
Der Vergleich mit den rabiaten marxistischen Studenten der 68er-Bewegung ist daher mehr als gerechtfertigt. Die feministischen Frauennetzwerke sind freilich viel besser organisiert, und sie haben es, anders als die vergleichsweise plump agierenden (und agitierenden) Studenten damals, geschafft, tief in die Medien einzudringen, die ihre pseudowissenschaftlichen Begriffe fast kritiklos übernehmen und sich den feministischen Sprachvorschriften beugen.
PS: Gerade lese ich auf einer Genderseite von der im Alltag leider immer noch verbreiteten
Annahme, es gäbe zwei gegensätzliche Geschlechter und diese seien sexuell aufeinander bezogen.
Zwei gegensätzliche Geschlechter? Und die auch noch sexuell aufeinander bezogen? Ja, wer glaubt denn noch an so etwas!