„Gendergerechte Sprache“, schreibt Johanna Usinger in ihrem Genderwörterbuch, „zeigt Wertschätzung gegenüber allen Menschen, unabhängig ihres Geschlechts.“
Das mag sein (auch wenn man als Wörterbücher verfassende Person wissen müßte, daß „unabhängig“ niemals den Genitiv regiert). Aber die feministische Sprachverhunzung zeigt vor allem eine tiefe Gleichgültigkeit, ja Verachtung gegenüber einer Sprache, die sich in Tausenden von Jahren entwickelt hat und niemals – niemals! – als Verfügungsmasse für politische und gesellschaftliche Ideologien zur Verfügung stehen darf. Sprache ist nie gerecht, das zeigt allein schon ihr Reichtum an Schimpfwörtern. Viele von ihnen sind „frauenfeindlich“ – wollen wir also demnächst auch die „dumme Gans“ oder das „Miststück“ sprachpolizeilich verbieten?
Nicht einmal den totalitären Regimen des 20. Jahrhunderts ist es gelungen, ihr newspeak durchzusetzen; sie haben allenfalls Sprachregelungen für einen Teil des Vokabulars erzwingen können, und selbst die sind mit dem Ende ihrer Herrschaft wieder verschwunden. Die Sprachen haben nämlich gottlob eine große Selbstreinigungskraft, ein Beharrungsvermögen, an dem sich die selbsternannten Gerechtigkeitsapostel, die sich dreist die Verfügungsgewalt über unsere gemeinsame Sprache anmaßen, am Ende die Zähne ausbeißen werden.
Aber immerhin: diese „Gerechten“ können eine Zeitlang, ehe der Spuk wieder vorbei ist, großen Schaden anrichten. Ihr Kampf gegen die Sprache (und nichts anderes ist es!) hat etwas Unbedingtes, Totalitäres, nichts zählt mehr, keine Geschichte, keine Kultur, keine Schönheit des Ausdrucks, es gibt nur noch (Pseudo-) Moral und (Pseudo-) Gerechtigkeit. So geht jetzt in den USA eine rabiate Bilderstürmerei um, die Columbus-Statue in Boston ist von den Gerechten geköpft worden (der Bürgermeister will sie demnächst ganz entfernen), und jenseits des Atlantiks, in Bristol, haben „Demonstrierende“ (so die taz) das Colston-Denkmal ins Wasser gestürzt, weil der Kaufmann Edward Colston im 17. Jahrhundert (!) als Mitglied der Royal African Company auch am Sklavenhandel beteiligt war. Ja, Gerechtigkeit wird auch rückwirkend durchgesetzt. In den Südstaaten der USA sollen nicht nur die Denkmäler der Südstaaten-Generäle verschwinden, auch ihre Namen will man auslöschen, so wie es die Römer mit ihren in Ungnade gefallenen Kaisern gemacht haben.
Diese Bewegung ist schon deshalb völlig ahistorisch, weil sie die Maßstäbe der Gegenwart an die kulturellen Artefakte der Vergangenheit anlegt, so wie etwa die fanatischen Sprachreiniger darauf bestehen, daß die Weltliteratur – vom „Negerkönig“ der Astrid Lindgren bis zurück zum „Huckelberry Finn“ oder gar zur Bibel – von allem gesäubert werden muß, was die zarte, sensible „Verletzlichkeit“ der Gegenwart verstören könnte.
Ja, es gibt den Mob der Plünderer und Kleinkriminellen, der in den Tagen des Aufruhrs die Gunst der Stunde zum Brandschatzen und zum Plündern von Geschäften nutzt. Aber es gibt auch den Mob der Gerechten: er nutzt die Gunst der Stunde, um die Geschichte in das Prokrustesbett der Hyper-Moral zu zwängen und alles Störende durch eine damnatio memoriae auszulöschen.
Und dieser Mob der Gerechten könnte sich am Ende als gefährlicher erweisen als alle Plünderungen und Brandschatzungen.