Henning Lobin ist, wie man in der Wikipedia nachlesen kann, Direktor des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache in Mannheim, Professor für Germanistische Linguistik an der Universität Mannheim und Mitglied des Rats für Deutsche Rechtschreibung. Das Internetportal web.de hat ihn kürzlich zum Thema „geschlechtergerechte Sprache“ interviewt (hier nachzulesen), und ich möchte meinen Lesern auch deshalb ein paar Auszüge daraus mitteilen, weil man dadurch einiges über den Zustand unserer Germanistik erfährt:
Es gibt auf jeden Fall gesellschaftliche Gruppen, denen das „Gendern“ ein Bedürfnis ist. Und es kennzeichnet unsere Gesellschaft, dass solche Gruppen ihre Interessen klar und deutlich artikulieren. Die Medien greifen das auf und verstärken es dadurch – das ist normal, so entstehen manchmal Veränderungen.
Das klingt alles sachlich und vernünftig, und tatsächlich hat ja auch niemand etwas dagegen, daß Menschen ihre Meinung artikulieren. Auch die abstrusesten Ansichten, selbst eindeutige Unwahrheiten darf man verbreiten, das ist ein in der Verfassung verankertes Recht. Aber dürfen sie ihre Meinung, in diesem Fall ihre ideologisch begründete Auffassung von Sprache, Andersdenkenden oder gar der ganzen Gesellschaft aufzwingen? Nein, das dürfen sie nicht.
Aber genau das tun sie. Die Zergenderung der Sprache wird inzwischen von Universitäten, Schulen, Behörden, Medien und Unternehmen auf administrativem Wege erzwungen und hat – man denke an die „Rad Fahrenden“! – selbst in Gesetzestexte Eingang gefunden. Im „Handbuch der Rechtsförmlichkeit“ (3. Aufl. 2008) heißt es zum Beispiel:
Wird eine Rechtsvorschrift geändert, sollen bei dieser Gelegenheit generische Maskulina, die innerhalb desselben Rechtstextes neben Paarformen verwendet werden, grundsätzlich durch geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen oder kreative Umschreibungen ersetzt werden.
Was Lobin verniedlichend als ganz „normalen“ Vorgang beschreibt, ist also in Wirklichkeit nichts anderes als eine der deutschen Sprache von einem bestimmten politischen Milieu aufgezwungene Veränderung, die inzwischen offenbar als sakrosankt gilt. Wer sich dem Sprachdiktat nicht beugt, muß – etwa an Schulen und Universitäten – mit erheblichen persönlichen Konsequenzen rechnen. Von einer freien Entscheidung für oder gegen das Gendern kann heutzutage keine Rede mehr sein.
Gerade das „generische Maskulinum“ ist dem sprachfeministischen Lager ein Dorn im Auge, obwohl es ein integraler Bestandteil der deutschen Sprache und damit keinesfalls verhandelbar ist. Ein Rektor, der seine Rede mit den Worten „Liebe Schüler!“ beginnt, hat jedes Recht dazu, und vor allem: er hat die deutsche Sprache auf seiner Seite. Aber hat er auch die auf seiner Seite, die sich als Germanisten, also wissenschaftlich, mit unserer Sprache beschäftigen?
Hören wir, was Henning Lobin dazu sagt:
Wenn ein Begriff wie „Schauspieler“ in der männlichen Form auch Frauen „mitmeinen“ soll, spricht man in der Sprachwissenschaft vom „generischen Maskulinum“. Der steuert, wie viele Untersuchungen zeigen, unsere Vorstellungen und Erwartungen. Wenn Sie mit Kindern über Berufswünsche sprechen und dabei von „Feuerwehrmännern“ reden, bekommen sie ein anderes Ergebnis, als wenn sie von „Feuerwehrleuten“ sprechen. Wir haben auch aus wesentlich komplexeren psychologischen Versuchsaufbauten klare Hinweise, dass das generische Maskulinum oft nicht als „neutrales Geschlecht“ funktioniert. Es prägt stattdessen die Wahrnehmung und die Entscheidungen zulasten der Frauen.
Hier ist schon der erste Satz falsch, denn das Wort „Schauspieler“ soll nicht etwa Frauen mitmeinen, es meint sie tatsächlich mit, und das seit Jahrhunderten. Was bei Lobin dann an Sprachpsychologie und ihren „Versuchsaufbauten“ folgt, gehört nun wirklich nicht in die Germanistik, wahrscheinlich nicht einmal in die Psychologie, am ehesten noch in eine feministische Politologie, die – mit über 200 Lehrstühlen für Genderstudien allein in Deutschland – auskömmlich lebt und bis heute nicht damit begonnen hat, die eigene Wissenschaftlichkeit in Frage zu stellen.
Schon im 18. Jahrhundert wurde von „Schauspielerinnen und Schauspielern“ gesprochen – man ging also damals nicht unbedingt davon aus, dass in der männlichen Form die weibliche enthalten sei.
Woher, bitte, stammt dieses Beispiel? Und vor allem: in welchem statistischen Verhältnis steht es zur Zahl der damals üblichen generischen Maskulina? Ich habe mich in meinem Germanistikstudium intensiv mit der deutschen Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts beschäftigt (und alles im Original gelesen, was ja heute aus der Mode gekommen ist), und ich kann mit Bestimmtheit sagen, daß solche Formeln wie „Schauspielerinnen und Schauspieler“ bis zum ausgehenden 20. Jahrhundert so selten waren, daß ihre statistische Häufigkeit gegen Null tendiert.
Aber warum sind so viele Menschen gegen den Gender-Unfug?
Mir scheint, heute dienen vielfach Appelle gegen den sogenannten „Gender-Unfug“ vor allem der politischen Verortung. Neben dem identitätspolitischen Statement demonstrieren manche damit auch ihre grundlegende politische Überzeugung. Deshalb hat die AfD im Vergleich mit den anderen im Bundestag vertretenen Parteien mit Abstand die meisten sprachpolitischen Positionen in ihrem Programm.
Wenn man das liest, und zwar aus dem Munde eines Germanisten, hat man denn doch Mühe, die Contenance zu wahren. Es stimmt, daß die AfD als einzige Partei den Kampf gegen den Gender-Unfug in ihr Programm aufgenommen hat. Sie tut das aber nur, weil sie eben eine populistische Partei ist und alles aufgreift, was die Menschen ärgert. Nicht, daß die AfD gegen das inzwischen ins Absurde gesteigerte Gendern angeht, ist der Skandal. Der Skandal ist, daß die seriösen Parteien es nicht tun. Daß sie dazu schweigen oder gar (wie vor allem die Grünen, aber auch große Teile der SPD, der Linken und selbst der CDU) die Sprachverhunzung noch forcieren – und von Germanistikprofessoren darin unterstützt werden.
Wenn es dann um den Anne Will’schen Knacklaut in Steuerzahler*innen geht, landet man endgültig im germanistischen Narrenhaus:
Wenn es schon bis ins Fernsehen durchdringt, kann sich solch ein Wandel auch weiter ausbreiten. Das kam übrigens nicht nur bei Anne Will vor – ich habe erst kürzlich auch bei Claus Kleber im „Heute journal“ den „glottalen Verschlusslaut“ gehört, wie das in der Phonetik heißt. Diesen Laut gibt es auch in unserer sonstigen Sprache, etwa wenn Sie das Wort „aktuell“ mit einer kurzen Unterbrechung aussprechen, also wie „aktu-ell“ oder bei „ide-al“. Das wäre kein sprachlicher Systembruch – das kriegt jeder hin. Und es erweist sich offenbar als ein Weg, die Doppelnennung effektiv zu verkürzen.
Ist das nicht wunderbar? Erst führen wir aus ideologischen Gründen die dummen „Doppelnennungen“ ein, und dann ersetzen wir sie, weil sie uns doch zu umständlich erscheinen, durch den noch absurderen „glottalen Verschlußlaut“, den „jeder hinkriegt“.
Soviel zum Zustand der Germanistik im Jahre 2020.