Auch relativ seriöse Zeitungen leisten sich Online-Redaktionen, für die sie sich eigentlich schämen sollten. Wer wie ich hin und wieder einmal die Google News besucht, wird mir zustimmen, daß merkur.de da ganz vorne mitspielt. Mit anständigem Journalismus hat das Geschäftsmodell dieser „Redaktion“ wirklich gar nichts zu tun. Dafür beherrscht sie das click baiting (ein Begriff, den ich erst seit ein paar Monaten kenne) geradezu perfekt: sie will nicht etwa, wie es echte Journalisten tun, mit Reportagen aus der Heimat berichten oder gar die Welt erklären, nein – sie geht nur noch auf Dummenfang, indem sie naive Menschen mit reißerischen Überschriften auf ihre Seiten lockt (ich habe an dieser Stelle ausführlich darüber berichtet).
Da heißt es etwa:
Ekel-Schock bei Aldi: Kunde macht Entdeckung – sie verdirbt ihm den Appetit.
Oder, für viele offenbar noch verheißungsvoller:
Model Gina-Lisa Lohfink zeigt sich „unten ohne“ – Fans sind begeistert.
Wer auf den Link klickt, liest unter einem harmlosen Bild von tätowierten Beinen, die folgende gründliche Bildbeschreibung des Merkur-Schreibers Christian Weihrauch:
Das Foto zeigt die blanken Beine des Models, leger übereinandergeschlagen. Ihr ebenfalls unbedeckter Arm ist zu sehen, der cool auf ihrem linken Bein liegt. Das Rot ihrer Nägel passt zur roten Farbe der Sandalen von Gina-Lisa Lohfink. Sie wünscht ihren Fans bei Instagram ein mit Kussmund versehenes „Good Night“ im Titel des Fotos.
Und ihre Fans sind vom Unten-ohne-Bild des Models bei Instagram natürlich fasziniert. Es hagelt Komplimente wie „sexy Füße“, „Geile Schenkel“, sowie Herz und Kuss Emojis.
Natürlich dürfen, wie auf allen diesen Seiten, die scharfsinnigen Kommentare der „Fans“ auf Instagram, Facebook & Co. nicht fehlen. Man sollte sich aber über diese Fans nicht allzu lustig machen. Es sind doch eher arme Menschen, die sich hartnäckig weigern, erwachsen zu werden. Für den Dummenfang der Merkur-Redakteure bilden sie freilich ein geradezu perfektes Publikum.
PS: Gleich auf mehreren Seiten, auf die Google News verlinkt, wird Prinz Philipp als „Queen-Mann“ bezeichnet. Wenn das keine journalistische Sprachkunst ist! Viele dieser Artikel, die mit dem Wort „Boulevard“ eigentlich noch zu gut wegkommen, stammen offenbar vom „Ippen-Digital-Redaktionsnetzwerk“. Dessen „Zentralredaktion“ produziert, wie sie hier schreibt,
täglich aktuelle Online-Inhalte von Regionalnachrichten bis Datenjournalismus für rund 50 News-Portale in Deutschland.
Und in vielen dieser Portale, die sich – zurecht! – nicht einmal selbst als „Online-Redaktion“ bezeichnen, sitzen immer öfter, statt ausgebildeter Journalisten, nur noch Nachrichtenverkäufer, die aus irgenwelchen Netzwerken Artikel von erschütternder inhaltlicher und sprachlicher Qualität zusammenschustern.
Auf diesem Niveau, das sollte man sich einmal klarmachen, würde sich die gesamte Online-Nachrichtenwelt bewegen, gäbe es nicht den Qualitätsjournalismus der Printmedien.
Sie sind unverzichtbar.