Kretschmanns Welt: „Schöne Maschinen“ und „kluge Geräte“

Zur Mythologie der Windkraftenergie gehört die Verniedlichung. Wer könnte den Ausspruch des ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten David McAllister vergessen: „Wind, Sonne und Wasser schicken keine Rechnung“? Und wer kann, ohne sich verhöhnt zu fühlen, an den Ausspruch des baden-württembergischen Ministerpräsidenten denken, der die Windkraftanlagen allen Ernstes als „schöne Maschinen“ bezeichnet hat?

Jetzt legt Kretschmann nach. In der Diskussion um die katastrophalen Rechtschreibkenntnisse (nicht nur der Schüler!) sagte er (hier nachzulesen):

Die Bedeutung, Rechtschreibung zu pauken, nimmt ab, weil wir heute ja nur noch selten handschriftlich schreiben.

Und er fügt hinzu:

Ich glaube nicht, dass Rechtschreibung jetzt zu den großen, gravierenden Problemen der Bildungspolitik gehört.

Kretschmann, der früher selbst Lehrer war, sagte, es gebe ja „kluge Geräte“, die Grammatik und Fehler korrigierten.

Das ist nichts Geringeres als ein Abgesang auf unsere Kultur: man entzieht ihr nämlich das Fundament, auf dem sie gebaut ist, und man unterbricht die Tradition, die Weitergabe der grundlegenden kulturellen Fähigkeiten an die nächste Generation. Wozu, so könnte man dann auch argumentieren, soll man überhaupt noch Rechnen lernen, wenn das wissenschaftliche Taschenrechner viel schneller können? Und wozu noch lange Sätze verstehen lernen, wenn einem im Internet doch nur der neue deutsche Kurzsatz begegenet?

Was Kretschmann hier empfiehlt, zeigt, daß er sich nicht in einer grünen, sondern in jener (dumm-) linken Tradition sieht, die durch ständiges Experimentieren und immer weiteres Herunterschrauben der Anforderungen schon vielen Schülergenerationen den Weg ins Leben verbaut hat. Dabei ist es einmal das Verdienst der SPD und der Arbeiterbewegung – also der Linken – gewesen, daß alle Kinder Zugang zur Bildung bekamen. Das änderte sich freilich in den 60er Jahren. Fast im Jahrestakt wurden von da an – überall, wo linke, später grüne Parteien in den Ländern mitregierten – sog. „Reformen“ durchgeführt: immer neue Schulformen wurden eingeführt, jede angeblich viel besser und gerechter als die jetzt verachtete dreigliedrige Schule, alte, für das ganze Leben wichtige Wissensfächer wie Geschichte und Geographie wurden zusammen mit Sozialkunde zu dem Geisterfach „Gemeinschaftskunde“ zusammengeschustert (mit dem Ergebnis, daß selbst Erwachsene heute nur noch rudimentäre geographische Kenntnisse und nicht einmal eine grobe Vorstellung vom Gang der deutschen Geschichte haben), die Stundentafel ändert sich praktisch permanent, die Gymnasialzeit wird auf Geheiß der Wirtschaft erst auf acht Jahre verkürzt, dann wieder auf neun Jahre verlängert, und so geht es fort und fort, als ob jetzt schola semper reformanda das Ziel aller Pädagogik sei.

Dabei läßt sich das Wichtigste, was Lehrer und Schüler zum Gelingen von Schule brauchen, in einem einzigen Wort zusammenfassen: Ruhe. Das ist übrigens viel billiger, als jedem Schüler einen Laptop zu kaufen (die haben schon genug elektronische Geräte um sich herum!). Die beste, ja eigentlich die einzige Reform, die Landesregierungen, Kultusministerkonferenzen und Schulbehörden an den Schulen einführen sollten, ist – die Schulen endlich in Ruhe zu lassen. Schreibt ihnen nur vor, was jeder an Wissen und Bildung wirklich braucht – und sorgt dann aber auch dafür, daß jeder mit dieser kulturellen Grundausstattung ins Leben geht!

Lernen ist immer auch Arbeit. Eine Wohlfühlschule kann es nicht geben, denn zum Lernen wird immer Anstrengung und Konzentration gehören. Und die Ruhe, die dazu nötig ist, muß auch durchgesetzt werden. Wo der Lehrer nur noch „Lernbegleiter“ ist, weil die Kinder ja angeblich alles aus sich selbst herausschöpfen können, wird man am Ende Schüler ins Leben entlassen, die nicht selbständig denken können und sich, was sie brauchen, aus dem Internet zusammenstehlen. Wer durch diese bis zum Kollaps „reformierte“ Schule gegangen ist, kann keinen einzigen Satz fehlerfrei schreiben, findet kein Land, kein Gebirge auf der Landkarte und kennt nicht einmal mehr die neuere Geschichte.

Das ist keine Horrorvision, das ist die Wirklichkeit. Ein Blick in ein beliebiges Internetforum beweist es. Wenn 40 % der deutschen Schüler (hier nachzulesen) nicht zwischen Demokratie und Diktatur unterscheiden können, darf man sich über manches Wahlergebnis nicht wundern.

Wenn wir unseren Kindern die kulturelle Grundausstattung verweigern, zerstören wir ihre berufliche, aber auch ihre geistige Existenz, noch bevor ihr Leben richtig begonnen hat. Sie bleiben dann – womöglich das ganze Leben lang – von Kretschmanns „klugen Maschinen“ abhängig, statt zu selbständig denkenden, starken Erwachsenen zu werden.

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