Im Strafrecht natürlich nicht. Aber alle Menschen, die zum Überleben eine Organspende brauchen, werden das, was der Bundestag gestern beschlossen (und vor allem: was er nicht beschlossen) hat, genauso empfinden. Für viele von ihnen ist es ein Todesurteil.
Jeden Tag sterben in Deutschland drei Menschen, weil sich kein Organspender für sie findet. 9.400 Menschen stehen auf der Warteliste für ein Organ – und für sie ist das nicht eine Frage von feinsinnigen moralischen Erörterungen. Für sie geht es buchstäblich um Leben und Tod.
Jetzt werden sich viele Politiker wieder selbst feiern, weil sie im Bundestag angeblich „parteiübegreifend“ eine „große Debatte“ geführt haben. Das mag sein, aber was am Ende herausgekommen ist, wird nicht einem einzigen Schwerkranken helfen. Wirklich geholfen hätte ihnen nur die Widerspruchslösung, wie sie Jens Spahn vorgeschlagen hat. Die Vorstellung, daß nun alles besser wird, weil jeder Bürger bei der Beantragung eines neuen Personalausweises (also alle 10 Jahre!) von einem Angestellten des Einwohnermeldeamts gefragt wird, ob er Organspender werden möchte, ist geradezu absurd.
Ganze 955 Deutsche haben im Jahr 2018 Organe gespendet. Das muß man sich einmal vorstellen: 955 von 83.042.200 deutschen Staatsbürgern. Das finde ich, ehrlich gesagt, doch ein bißchen beschämend.
Spahns Gesetzentwurf hätte daran etwas geändert. Er ist einer der wenigen Minister im Kabinett Merkel, die man nicht missen möchte.
PS: „Jede Organspende“, schreibt Kim Björn Becker heute in der F.A.Z., „ist ein Akt der Nächstenliebe und damit nichts, was ein möglicher Empfänger als vermeintliches Recht für sich in Anspruch nehmen kann.“ Das stimmt. Aber wenn jede Organspende ein Akt der Nächstenliebe ist (und damit in die Sphäre von Moral und Religion erhoben wird!) , dann möchte ich doch auch einmal hören, wie man die Verweigerung der Organspende moralisch bewertet. Sie müßte dann ja ein Akt der Sünde, auf jeden Fall aber moralisch verwerflich sein.
Spahns Entwurf hätte nicht zu einer „Zwangsentnahme“ von Organen geführt, das intensive Gespräch mit den Angehörigen wäre auch da verpflichtend gewesen. Aber, so scheint mir, wir wollten wieder einmal zeigen, daß wir auf einer höheren Stufe der Moral stehen als unsere europäischen Nachbarländer.