Ganze elf Liter Alkohol

Ein sprachlicher Fehler, der offenbar nicht auszurotten ist, auch wenn man sich die Finger wundschreibt, z.B. hier (auf n-tv.de):

Ganze elf Liter Alkohol werden in Deutschland jährlich pro Person konsumiert. Die OECD schlägt Alarm.

Das Wort „ganze“ vor einer Zahl bedeutet im Deutschen (und zwar ohne jede Ausnahme!) „nur“, „gerade einmal“, „nicht mehr als“. Wenn wir den obigen Satz so nehmen, wie er da steht, hieße das: die OECD beklagt sich darüber, daß die Deutschen „nur elf Liter Alkohol“ im Jahr trinken, es wäre ihr lieber oder sie hätte zumindest erwartet, die Deutschen tränken viel mehr.

Wer noch dudengläubig ist, mag es auch dort nachlesen:

„ganze“
nicht mehr als
Gebrauch: umgangssprachlich
Grammatik: in Verbindung mit einer Kardinalzahl
Beispiel: „das Buch hat ganze fünf Euro gekostet“.

Wie kann es sein, daß so ein dummer Fehler immer häufiger selbst auf gedruckten Seiten auftaucht (vom Internet ganz zu schweigen)? Kann es sein, daß wir jetzt schon eine Generation von Journalisten und Deutschlehrern haben, die selbst nicht mehr viel liest – oder nur noch Romane, in denen die Sprache, sagen wir: keine sooo große Rolle spielt? Ich bin Abi-Jahrgang 1968, und wir haben bis zum Abitur (Pflicht-) Texte von der althochdeutschen Zeit, etwa vom Hildebrandslied, bis in die Gegenwart gelesen. Ja, wir haben sie noch wirklich gelesen, wir haben nicht aus dem Internet (das es damals natürlich noch nicht gab, gottlob!) Zusammenfassungen und Textinterpretationen zusammengeklaut und als eigene Leistung ausgegeben. Daß man heute – bis in den seriösen Journalismus hinein – so viele sprachliche Fehler macht, liegt gewiss auch daran, daß zwar viel gelesen wird, aber doch vor allem viel Seichtes oder (wegen des Zeitdrucks) schludrig Übersetztes. Wer nämlich querbeet durch die Jahrhunderte liest, wird nicht nur mit aufregenden Fundstücken und einer differenzierten Weltsicht belohnt, er lernt auch, sozusagen im Vorbeilesen, sprachliche Dummheiten zu vermeiden.

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