Wieder so ein schwer zu definierendes (und leicht mißzuverstehendes!) Wort.
In meiner Jugend, also in der Adenauerzeit, gab es nur zwei bürgerliche Parteien: die CDU/CSU und die FDP. Die SPD – das waren die „Sozis“, die „Roten“, sie gehörten nicht dazu, sie wollten es auch gar nicht, für sie war „bürgerlich“, wie in manchen linken Kreisen auch heute noch, ein Schimpfwort (oft verstärkt in der Kombination „kleinbürgerlich“ oder „großbürgerlich“). Es dauerte lange, bis sich auch die Sozialdemokraten als bürgerlich verstanden – und noch länger, bis sie von den anderen Parteien als bürgerlich akzeptiert wurden.
Lange, über Jahrhunderte hinweg, wurde das Wort auch im Sinne von „nicht adlig“ gebraucht. Das „Bürgermädchen“ etwa, das von einem Adligen verführt wurde, war schon im 18. Jahrhundert ein beliebtes Sujet in Theaterstücken und Romanen. Auch heute ist es noch nicht die Regel, daß ein Adliger eine „Bürgerliche“ heiratet, ob der Partner nun ein Fitnesstrainer oder eine amerikanische Schauspielerin ist. Große Empörung gibt es darüber freilich nicht mehr.
Bürgerlich war in meiner Jugend ein Begriff für die eher wohlhabenden Familien: Lehrer, Beamte, mittelständische Unternehmer, zum Teil auch Angestellte (aber nicht die „kleinen Angestellten“ und die einfachen Handwerker).
„Bürgerlich“ und „konservativ“, das sind auch Attribute, mit denen die AfD immer öfter auf Dummenfang geht. Dabei muß man nur einmal verfolgen, was bekennende AfD-Mitglieder und Anhänger in Internetkommentaren so von sich geben: da würde es jeden wirklich Bürgerlichen, jeden im guten Sinne Konservativen grausen. Aber Alexander „Vogelschiß“ Gauland besteht darauf, daß er eine bürgerliche Partei führt.
Bürgerlich ist, so sagt er in einem Interview in der F.A.Z., wenn man
nicht auf die Idee kommt, mit einer Ökodiktatur die individuelle Mobilität einzuschränken.
Das stimmt, aber im weiteren Verlauf des Interviews macht er das Bürgerliche nur noch an der Herkunft fest, sogar beim Volksgenossen Höcke:
Ich kann nicht finden, daß Höcke nicht bürgerlich ist. Er kommt aus einem bürgerlichen Elternhaus und hat den bürgerlichen Beruf des Lehrers ergriffen.
Und über sich selbst sagt er fast trotzig:
Ich bin bürgerlich. Ich komme aus einem bürgerlichen Elternhaus. Und ich glaube, ich vertrete bürgerliche Ansichten.
Das Beharren auf dem Elternhaus ist freilich wenig überzeugend. Fast alle großen Revolutionäre, und auch fast alle kleinen Revoluzzer sind aus bürgerlichen Elternhäusern gekommen. Die meisten RAF-Mitglieder (bis auf Baader vielleicht) sind behütet (eben bürgerlich) aufgewachsen. Mit Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Lenin war es nicht anders, auch viele Anarchisten waren aus gutem Hause.
Definieren wir es doch einmal negativ: ein Haßprediger, einer, der den einen Teil der Bevölkerung gegen den anderen aufhetzt, ist niemals ein bürgerlicher Mensch.