Es gibt ja intellektuelle Haushalte, in denen – aus Prinzip – der Fernseher fehlt. Das ist eine geradezu drakonische Maßnahme, man könnte auch sagen: hier soll jede Versuchung im Keim erstickt werden. Es könnte sein, daß Kinder, die in einem solchen Haushalt aufwachsen, später süchtig nach flackernden Bildern werden. Auf jeden Fall können sie den vernünftigen Umgang mit dem Medium so nicht lernen.
In der kleinen Stadt, in der ich aufgewachsen bin, haben wir zu den Letzten gehört, die sich einen Fernseher angeschafft haben – das muß um das Jahr 1964 gewesen sein. Mein Vater hatte sich lange dagegen gewehrt: so ein Ding, das war seine Argumentation, „macht das Familienleben kaputt“. Als dann die gebrauchten Geräte auch für uns erschwinglich waren, wurde er irgendwann schwach (sicher nicht ohne Gewissensbisse). Und dann hat man ihn gar nicht mehr vom Fernseher weggebracht – alles hat er geschaut, Western, Krimis, Familienserien, sogar die Werbespots und die Mainzelmännchen!
Das Familienleben hat darunter übrigens nicht gelitten.
Seit jenen Jahren – ich gebe es unumwunden zu – sehe ich liebend gern Fernsehkrimis (frühkindliche Prägung nennt man das). Aber es müssen auch wirklich Krimis sein! Vielleicht denke ich da zu altmodisch, aber – und deshalb die Überschrift, die ganz unverfroren ein Gedicht von Gertrude Stein abwandelt – für mich stehen im Mittelpunkt eines Krimis immer noch ein Verbrechen und seine Aufklärung. Das kann selbst heute noch, wenn ein guter Autor und ein guter Regisseur am Werk sind, spannend und unterhaltsam sein. Tatsächlich gibt es in den gängigen Serien – Tatort, Polizeiruf usw. – neben der üblichen Durchschnittsware (was nicht abwertend gemeint ist!) immer wieder ganz wunderbar unterhaltende, intelligent aufgebaute Krimis, die keinen schalen Nachgeschmack hinterlassen.
Aber – und jetzt kommt wirklich ein ganz großes Aber: es gibt auch von Zeit zu Zeit den Versuch, das Format Kriminalfilm zu mißbrauchen. Man benutzt, man mißbraucht den Krimi als Transportmittel z.B. für Sozialkritik. Der Krimi wird zum bloßen Vehikel, man sieht leidende Hartz-IV-Empfänger, heruntergekommene Hochhäuser, böse Immobilienhaie, erniedrigte Asylbewerber – das volle Programm. Und man erinnert sich an die Lindenstraße, die man vor vielen, vielen Jahren noch gesehen hat, bis Geißendörfer die Serie zum Medium seiner gestrigen Ideologie gemacht hat (mit Hansemann als Sprachrohr, der sich bis heute – als his master’s voice – immer brav und politisch bis zum Erbrechen korrekt über das Böse in der Welt entrüsten muß). So geht es auch in den meisten „sozialkritischen“ Krimis zu. Man merkt die Absicht, und man ist verstimmt.
Das ist für mich – ich sage es noch einmal – ein Mißbrauch des Mediums Kriminalfilm. Es gibt aber noch einen anderen, ebenso ärgerlichen Mißbrauch, und das sind die artifiziellen Filme, die eigentlich mehr für das Feuilleton und zur Verstörung der Zuschauer gedreht werden (und natürlich zum eigenen Vergnügen der Macher). Dazu rechne ich zwei in den Feuilletons immer wieder als „legendär“ bezeichnete Filme: den Tatort „Frau Bu lacht“ von 1995 (Regie: Dominik Graf, Buch: Günter Schütter) und – ebenfalls von Graf und Schütter – den neuen Münchener Polizeiruf „Cassandras Warnung“ (2011).
Wohlgemerkt: ich bin ganz und gar nicht dagegen, daß man mit den Formen und Inhalten des Krimis auch spielerisch und ironisch umgeht – ganz im Gegenteil! Die Tatorte aus Münster und (immer wieder einmal) aus München liefern dafür schöne Beispiele. Sogar Lena Odenthal hat mit „Tod im All“ 1997 einen Humor gezeigt, den man ihr nicht zugetraut hätte.
Und trotzdem gilt: ein Krimi ist ein Krimi ist ein Krimi!
Spielen kann man immer, etwas Sakrosanktes darf es nicht geben, aber mit der Form des Kriminalfilms spielen heißt eben nicht, die Form völlig zu zerstören und den Zuschauer so zu verschrecken, daß er hilflos zurückbleibt. Mit der Form und den Stereotypen des Krimis spielen – das ist eine Kunst, die viel Feingefühl und Erfahrung erfordert. Eine Wackelkamera, hektische Schnittechnik, kaum verständliche Dialoge, völlig unglaubwürdige Charaktere (so wie beim jüngsten Münchener Polizeiruf mit Matthias Brandt) – das mag als künstlerische Selbstbefriedigung durchgehen. Einen guten Film bringt man so nicht zustande.