Wörter sind nie einfach nur sachliche, konkrete Bezeichnungen, sie haben oft eine Aura um sich, und sie lösen Gefühle aus, die man nur schwer beschreiben kann.
„Heimat“ ist so ein Wort. Wie schwierig es ist, mit den Konnotationen dieses Wortes umzugehen, zeigt der Versuch, es beispielsweise ins Englische zu übersetzen. Ich habe mal meinen alten Muret-Sanders herausgeholt (Enzyklopädisches englisch-deutsches und deutsch-englisches Wörterbuch, Berlin 1905) und unter dem Stichwort „Heimat“ folgendes gefunden:
home
(häusliche Niederlassung, Wohnsitz) settlement, domicile,
(Geburtsort) birthplace, native place,
(Vaterland) native country or land, fatherland,
(Geburtsstätte) native soil, oft parish,
(Vaterhaus) paternal habitation or roof.
„Home“ kommt dem deutschen Wort sicher am nächsten, aber schwingt da alles mit, was wir mit dem deutschen Wort „Heimat“ verbinden? Ich glaube nicht. Sprachen, das kann man nicht oft genug sagen, zeigen jeweils eine ganz eigene Sicht der native speaker auf die Welt, sie sind nicht sachlich, neutral, sie interpretieren immer auch die Welt, und diese Gefühle und Schwingungen, die einem Muttersprachler beim Hören des Wortes sofort und unausgesprochen in den Sinn kommen, kann man nur ganz schwer in eine andere Sprache transportieren.
Daß Sprache auch mißbraucht werden kann, ist eine Platitüde, weil buchstäblich alles mißbraucht werden kann – wenn man nur böswillig genug ist. Auch der heutige Sprachfeminismus mit seinen absurden Doppelformen (Studentinnen und Studenten usw.) und all seinen * und -Innen ist nichts anderes als der Mißbrauch der Sprache im Namen einer Ideologie.
Diktaturen und autoritäre Regime jeder Art mißbrauchen die Sprache fast immer. Wir kennen das zur Genüge aus der Propagandasprache der NS-Zeit, in der etwa „Heimat“, „deutsch“, „Volk“ u.ä. besonders beliebt waren. Warum? Weil gerade in diesen Wörtern viele positive Gefühle mitschwingen, so konnte man sie leicht in den Dienst der Ideologie stellen. Nach dem Krieg waren sich (zurecht!) alle darin einig, daß man viele dieser „befleckten“ Wörter nicht gleich wieder verwenden sollte, als ob nichts geschehen sei. Inzwischen ist viel Zeit vergangen, und man kann ein Wort wie Heimat selbstverständlich wieder völlig unbefangen verwenden.
Daß viel Zeit seit dem Nationalsozialismus verflossen ist, hat aber leider auch eine unerfreuliche Seite: die extreme Rechte, zu der man inzwischen auch weite Teile der AfD rechnen muß, versucht mit einigem Erfolg, auch schwer belastete Wörter wie „völkisch“, „System“, „Altparteien“ oder „Lügenpresse“ wieder hoffähig zu machen. Sie kann dabei auf das nur noch rudimentäre Geschichtswissen in großen Teilen der Bevölkerung zählen.
Wir haben in der Oberstufe (das war Mitte der 60er Jahre) die deutsche Geschichte von 1848 bis zur NS-Zeit ausführlich behandelt, und zwar nicht in dozierender Form, sondern fast ausschließlich durch das gemeinsame Studium von Quellen, die unser Geschichtslehrer, Oberstudienrat Udo Fischer, immer in schweren Ordnern herbeischleppte: es waren Alltagstexte, Verträge, Zeitungsausschnitte und vieles andere aus der jeweiligen Zeit, und sie gaben uns ein buntes (und selbst erarbeitetes) Bild jeder geschichtlichen Epoche.
Bald darauf gerieten die Schulen in den Sog „fortschrittlicher“ Reformer, und nicht nur in Hessen wurde der Geschichtsunterricht sogar ganz abgeschafft: er ging zusammen mit Sozialkunde und Geographie in dem neuen Fach Gesellschaftslehre auf.
Die Folgen sind bis heute zu spüren, sie werden auch noch künftige Generationen von Schülern zu geschichtsblinden Erwachsenen heranziehen.
PS: Zum Thema Geschichte sei noch ein Vers Goethes aus dem West-östlichen Divan nachgereicht:
Wer nicht von dreitausend Jahren
Sich weiß Rechenschaft zu geben,
Bleib im Dunkeln unerfahren,
Mag von Tag zu Tage leben.