Gut, daß wir das damals noch nicht gewußt haben. Als unsere Kinder noch klein waren, haben wir ihnen nämlich viele Romane von Enid Blyton vorgelesen, und sie waren begeistert, vor allem von den Abenteuer- und den Fünf-Freunde-Büchern.
Und wir dachten in unserer Naivität, daß es sich hier einfach nur um spannende Geschichten handelte. Jetzt wissen wir es besser.
Die Wikipedia hat uns aufgeklärt. Nur ein paar Auszüge aus der Blyton-Kritik, die bezeichnenderweise in den fortschrittlichen 60ern beginnt:
Die Geschichten seien alle gleich, hieß es, und die Grammatik sei schlecht.
Blyton propagiere von einem bürgerlichen Standpunkt aus Klassenvorurteile; zudem seien ihre Werke rassistisch und sexistisch.
Man warf der Autorin vor, die Mittelschicht zu betonen und jede existenzielle Not sowohl der Protagonisten als auch der Leser auszuklammern.
Bösewichte seien dunkelhäutig oder Ausländer. Mädchen machten Hausarbeiten und ihnen sei eine Mitläuferrolle zugedacht, denn Anführer einer Bande seien immer Jungen.
Undifferenzierte schematische Einteilung der Personenwelt in „Gute und Böse“. Die Figuren seien keine ausgeformten Charaktere, sondern stereotyp und angepasst.
Das „Böse“ muss vom „Guten“ bekämpft und bekehrt werden; das „Gute“ siegt. Diese stereotype Gestaltung verhindere zugleich eine eigenständige Interpretation der Handlung durch den Leser; dieser dürfe nicht selbst entscheiden, was „gut“ oder „böse“ sei.
Zumeist vertrete der älteste Junge die elterliche Autorität und Befehlsgewalt gegenüber den Jüngeren. Die Mädchen und Jungen erfüllen nach Ansicht der Kritiker stereotype Geschlechterrollenvorgaben.
In den Bearbeitungen und Übersetzungen wurden schon lange „Streichungen bei sozialer und rassischer Diskriminierung wie auch bei autoritärem Verhalten“ vorgenommen.
Jetzt wollen wir einmal Klartext reden: wer sich darüber beschwert, daß in Kinderbüchern das Gute siegt, wer es ungehörig findet, daß darin auch Mittelschichtkinder vorkommen, wer seine strunzdumme Gendertheorie und seine Auffassung von „Geschlechterrollen“ rückwirkend auf die Kinderbücher der letzten hundert Jahre anwenden und am liebsten alle unhistorisch reinigen und umschreiben möchte, der sollte so schnell wie möglich einen Psychiater seines Vertrauens aufsuchen.
Kinder bedürfen nicht der fürsorglichen Zensur durch fortschrittliche Menschen aus dem linken und feministischen Milieu, sie sind geistig viel weiter (und sensibler!) als ihre selbsternannten Vormünder. Und sie können sehr gut zwischen Wirklichkeit und Fiktion unterscheiden!
Eine besonders enttäuschende Blyton-Kritik habe ich gestern gefunden, sie stammt aus einem Interview, das J.K. Rowling der Frankfurter Rundschau gegeben hat:
Was haben Sie denn gegen Enid Blyton?
Sie war keine gute Schriftstellerin. Nur für ganz kleine Kinder konnte sie gut schreiben. Für ältere Kinder war sie völlig uninteressant. Nie erlaubte sie ihren Figuren „Hanni und Nanni“ oder den fünf Freunden, erwachsen zu werden. Nie verschwenden diese 14-Jährigen einen Gedanken an sexuelle Gefühle, nie haben sie einen schlechten Wunsch. Es gab immer nur die bitterbösen Verbrecher und die anständigen reizenden Mittelklasse-Kinder. Bei ihr steht Mutti immer in der Küche und backt Kuchen, während Daddy das Auto repariert. Aber Kinder erleben den Alltag nie so harmonisch. Enid Blyton war einfach eine Lügnerin.
Ist das vielleicht der Neid gegenüber einer Kollegin, deren Auflage (600 Millionen Bücher weltweit) nicht einmal Rowling je erreichen wird? Ich weiß es nicht. Ungerecht und bösartig ist es auf jeden Fall.
Enid Blyton hätte mit einem Satz geantwortet, mit dem sie schon zu Lebzeiten auf solche Kritik reagiert hat:
Kritik von Leuten über zwölf interessiert mich überhaupt nicht.