Montaigne über den Tod

Michel de Montaigne (1533-92) hat mit seinen Essais vor fast 500 Jahren die Gattung des Essays erfunden.  Einen kleinen Ausschnitt seiner Gedanken über den Tod in der Übersetzung von Johann Daniel Tietz will ich meinen Lesern nicht vorenthalten:

Laßt uns also denselben mit unverrücktem Fusse erwarten, und uns zur Gegenwehr setzen. Und damit wir ihm seinen besten Vortheil abgewinnen, so wollen wir einen ganz andern Weg erwählen, als man gemeiniglich geht. Wir wollen ihm das Fremde nehmen, wir wollen Bekanntschaft mit ihm unterhalten, wir wollen ihn an uns gewöhnen, wir wollen nichts so oft als den Tod in den Gedanken haben, wir wollen ihn unserer Einbildungskraft alle Augenblicke unter allen möglichen Gestalten vorstellen. Wir wollen, wenn das Pferd stolpert, wenn ein Dachziegel herunterfällt, wenn wir uns nur im geringsten mit einer Nadel stechen, gleich die Betrachtung anstellen: Wenn nun dieß das Leben kostete? und uns dabey aufs äußerste stemmen, und alle unsere Kräfte anstrengen. Wir wollen bey den Gastmalen und Lustbarkeiten immerfort das Andenken unserer Sterblichkeit in dem Sinne behalten, und niemals dem Vergnügen so sehr nachhängen, daß es uns nicht zuweilen einfallen sollte, auf wie vielerley Art unsere Lust dem Tode ausgesetzt ist, und von wie vielen Seiten uns derselbe drohet. So machten es die Egypter, welche mitten unter ihren Schmausen und Wohlleben, den Gästen zur Warnung, einen einbalsamirten Menschenkörper hereinbringen liessen.

Und Montaigne fügt noch ein Horaz-Zitat hinzu:

Omnem crede diem tibi illuxisse supremum,
Grata superveniet, quae non sperabitur hora.

Betrachte jeden Tag, als ob es dein letzter wäre.
Jede Stunde, die du unverhofft noch darüber lebst, wird dir desto angenehmer seyn.

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