„Rettet den Wald!“ – das ist ein bis heute unvergessenes und immer noch aktuelles Buch, das Horst Stern 1979 zusammen mit einigen Mitautoren veröffentlicht hat. Fast alles, was ich über die tieferen Zusammenhänge des Waldes und der Forstwirtschaft heute weiß, stammt aus diesem Buch.
Der mitteleuropäische Wald ist tatsächlich einzigartig. „Nachhaltigkeit“ ist heute ein Modewort, noch dazu eines, das meistens völlig falsch und sinnentstellend gebraucht oder zum leeren Marketingargument mißbraucht wird. Alles soll auf einmal nachhaltig sein. Einen als „nachhaltig“ zertifizierten Regenwald, wie es uns z.B. Holzkonzerne, Importeure und diverse Aktivisten weismachen wollen, gibt es nicht. Regenwald läßt sich nicht bewirtschaften, man kann ihn nur erhalten (so wie er ist) – oder zerstören. Aber der Wald in den gemäßigten Breiten kann durchaus nachhaltig bewirtschaftet werden, ja – die Bewirtschaftung, wenn sie klug betrieben wird, ist geradezu eine Voraussetzung dafür, daß er so ist, wie wir alle ihn uns wünschen. Ohne die Forstwirtschaft, wie sie in Europa seit zwei, drei Jahrhunderten betrieben wird, gäbe es ihn nicht.
Das Klischee vom guten Wald und dem bösen Förster, das von einigen nicht ganz gescheiten Zeitgenossen immer einmal wieder aufgebracht wird, ist nur – dummes Zeug. Ohne die Forstwirtschaft hätten wir in Mitteleuropa – von wenigen Sonderstandorten wie Felsen, Mooren und Sanddünen abgesehen – fast überall einen extrem artenarmen Buchenwald, denn unter dem Kronendach der Bäume kann sich, von den Frühblühern abgesehen, keine nennenswerte Krautschicht entwickeln. Natürlich hätten wir, wenn der Mensch nicht mehr eingreift, auch keine Wege mehr im Wald. Das wäre dann das Endstadium der natürlichen Entwicklung, die sog. Klimaxvegetation. (Übrigens ist es außerhalb des Waldes nicht viel anders, auch in den offenen, baumlosen Vegetationseinheiten wäre der Artenreichtum sehr schnell verschwunden, wenn es den Menschen nicht mehr gäbe.)
Der Wald sieht sich jetzt freilich einer Bedrohung ausgesetzt, die so nicht zu erwarten war: er wird offenbar zum Spekulationsobjekt der Finanzwelt. Anleger, die genug haben von den Turbulenzen auf dem Aktienmarkt, wenden sich zunehmend solideren Anlagen zu: Edelmetallen wie dem Gold etwa und jetzt auch – dem deutschen Wald.
Im Finanzteil der F.A.Z. vom Samstag (hier nachzulesen) erfährt man, daß der osteuropäische Wald und der in Übersee schon länger ein Objekt der Anleger ist. So können sich deutsche Anleger u.a. an Sandelholzplantagen in Australien und an Plantagen in Lateinamerika beteiligen. „Nachhaltigkeitsfonds“ nennt man das hin und wieder im Internet. Das Emissionshaus Aquila etwa bietet eine Beteiligung am „Amata-Projekt“ an – dabei gehe es darum, schreibt die F.A.Z., „durch nachhaltige Forstwirtschaft den brasilianischen Regenwald zu erhalten“. Für dieses – biologisch nicht mögliche – Unterfangen winkt eine jährliche Rendite zwischen 10 und 35 Prozent! Aber – leider, leider! – kann man den Regenwald nur erhalten, indem man ihn nicht antastet. Was man als „nachhaltig bewirtschaftet“ an seine Stelle setzt, ist eben kein Regenwald mehr, sondern (im günstigsten Fall!) Ersatzvegetation, mit einem Bruchteil der Artenvielfalt, die im ursprünglichen Regenwald vorhanden war.
Es wird Jahrhunderte dauern, bis wieder ein echter Regenwald entsteht – viele Forscher sind sogar der Ansicht, daß auch unter besten Bedingungen (und von denen ist man in Indonesien, Brasilien usw. weit entfernt) auf solchen Flächen überhaupt kein Regenwald mehr entstehen wird.
Jetzt ist also der deutsche Wald an der Reihe. Die Anleger spekulieren darauf, daß immer mehr Kommunen aus schierem Geldmangel ihren Wald verkaufen müssen. Ist das (aus Sicht der Anleger) zu optimistisch gedacht? Keineswegs!
Wir wohnen zum Beispiel in einer kleinen Stadt im Rhein-Main-Gebiet, die immer noch viele schöne Wälder besitzt. Aber sie ist in großer Geldnot – und es gibt ein Kiesunternehmen, das dringend nach neuen Flächen für die Auskiesung sucht. Der Besitzer der Kiesgrube hat über viele Jahre hinweg vorgesorgt: er ist als Sponsor aufgetreten, hat persönliche Beziehungen zu den Parteien geknüpft, und er ist in allen Vereinen präsent. Die Arbeit an seinem Netzwerk hat sich gelohnt: die Stadt hat ihm an die 8o Hektar schönen Bannwalds zur Auskiesung übertragen. Ein Referendum wurde von der Stadt mit juristischen Winkelzügen verhindert.
So geht es in vielen Städten und Gemeinden zu. Aus akutem Geldmangel wird privatisiert und verkauft, was das Zeug hält – auch das Tafelsilber, und dazu zählt ja der Wald wahrhaftig. Nils Weber, Geschäftsführer der Deutschen Forst Invest GmbH in München, jubelt: immer mehr Kommunen seien bereit, „sich von Flächen zu trennen“. Was im Westen freilich nur schleppend funktioniert, weil der Wald dort „emotional so hoch besetzt ist“, geht in den neuen Bundesländern offenbar viel einfacher. Noch einfacher allerdings funktionieren diese „Waldfonds“ etwa in Rumänien, wo ein Emissionshaus schon 11.000 Hektar Wald aufgekauft hat.
Darf ich ein ehrliches Wort sagen?
Mir können diese ganzen Emissionshäuser und Forst Invest GmbHs gestohlen bleiben! Schon in der Bankenkrise hat sich vor Jahren gezeigt, daß die Finanzwelt eine vollständig ethikfreie Zone ist. Hier gibt es nur eines: sein Geld so anlegen, daß es in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Gewinn abwirft. Das soll ein Lebensinhalt sein? Mein Gott, wie armselig.
Wer möchte leben ohne den Trost der Bäume!
So beginnt ein Gedicht von Günter Eich. Ich möchte es jedenfalls nicht. Aber auf die gesamte Finanzwelt verzichte ich liebend gern.