Man kann einen Text auf sehr verschiedene Art und Weise lesen: unvoreingenommen, mit kritischem Abstand – oder mit ideologischen Scheuklappen. Das alles läßt sich gerade jetzt sehr schön am Beispiel von Thomas de Maizières Beitrag „Leitlinien für einen starken Staat in schwierigen Zeiten“ in der F.A.Z. demonstrieren (er ist dankenswerter Weise hier im vollen Wortlaut nachzulesen).
Der Innenminister macht Vorschläge, wie man auf die neue Gefährdungslage durch den islamischen Terrorismus reagieren könnte. Wohlgemerkt: es sind nur Denkanstöße und Vorschläge, weiter nichts. Die Reaktion darauf zeigt aber (leider!), daß die Unfähigkeit zu sachlicher Diskussion nicht auf die Dummköpfe in den Internetforen beschränkt ist. Sie bestimmt inzwischen auch große Teile der politischen Klasse.
Daß die grünlinken Ideologen aufschreien, war von vornherein klar. Für sie ist allein schon das Wort „starker Staat“ ein rotes Tuch. Staat, Behörden, Polizei – das alles ist (und bleibt) für sie Feindesland. Freiheit gibt es in diesem geistigen Milieu immer nur gegen den Staat, weil der Staat für sie die Freiheit nicht bewahrt, sondern bedroht. Sie kämpfen die Kämpfe der vergangenen Jahrhunderte, und anders als de Maizière begreifen sie nicht, daß es schon seit langem nicht mehr der Staat ist, der die Freiheit bedroht – es sind die islamischen Eiferer, die entschlossen sind, uns die Freiheit zu nehmen. Und wer anders als der Staat könnte uns in diesem Kampf beschützen?
Das alles war, wie gesagt, vorhersehbar. Erstaunlicher ist, wieviel Widerstand gegen den Innenminister aus seiner eigenen Partei kommt. Das hat natürlich gute – oder vielmehr: sehr schlechte Gründe. Der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) etwa, der so farblos ist, daß die meisten Hessen nicht einmal seinen Namen kennen, läuft auf einmal zu großer Form auf: eine Strukturdebatte sei „völlig überflüssig“, die Veränderung von Strukturen „grober Unsinn“, und überhaupt:
solche Diskussionen untergraben das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unsere Sicherheitsbehörden.
Da reibt man sich die Augen – aber nur, wenn man nicht weiß, daß in Hessen seit ein paar Jahren Schwarz-Grün regiert. Die CDU hat sich in diesem Land (freiwillig!) als Geisel in die Hände der Grünen und ihrer abgestandenen Ideologie gegeben.
Anders verhält es sich mit Seehofer, der immer noch mit seinem Mantra „Obergrenze“ hausieren geht. Gegen ihn, dem außer „Obergrenze“ und „PKW-Maut“ nichts Visionäres mehr einfällt, erscheint sogar sein Vorgänger Stoiber inzwischen wie ein Ausbund an geistiger und politischer Wachheit. Daß nach den neuesten Umfragen Angela Merkel in der CSU (!) beliebter ist als Seehofer, sollte ihm zu denken geben.
Aber das Denken ist offenbar seine Stärke nicht.