Genau das wollte der Sultan durchsetzen: wenn eine Frau vergewaltigt wird und dann ihren Vergewaltiger heiratet, sollte der Mann (also der Täter!) straflos ausgehen. So etwas ist in muslimischen Ländern gang und gäbe, aber in der Türkei hat sich – zurecht! – ein Sturm der Entrüstung erhoben.
Jetzt hat Erdogan das Gesetz, über das heute abgestimmt werden sollte, in letzter Minute zurückgezogen – aber keinesfalls, um ganz darauf zu verzichten. Nein, es soll nur in einem Ausschuß „überprüft“ werden.
Es ist gute alte islamische Sitte, daß bei Vergewaltigungen das Opfer bestraft wird und der Mann, selbst wenn er formal verurteilt wird, bald wieder in Freiheit ist. Ich habe an dieser Stelle schon mehrmals über solche Fälle (aus den Golfstaaten, Afghanistan oder dem Maghreb) berichtet. Für Erdogan sollte das ein weiterer Schritt auf dem Weg zu einer „islamischen Republik “ sein. Daß die Proteste gegen dieses abscheuliche Gesetz so groß waren, daß es erst einmal zurückgezogen werden mußte, ist ermutigend.
PS: Was für ein Druck aus der Familie auf dem Vergewaltigungsopfer lastet, wie es gedrängt wird, seinen Peiniger auch noch zu heiraten, damit die „Familienehre“ wiederhergestellt wird, kann man sich vorstellen. Es ist ja immer die Frau, die die Ehre beschmutzt, nicht der Mann, nicht der Täter. Daß auf diese Weise die Moralvorstellung des 7. Jahrhunderts in der Türkei des 21. Jahrhunderts rechtlich kodifiziert werden soll, ist eine Schande.