Darf ich meinen Lesern ein Geständnis machen? Ich liebe Bob Dylan, vor allem den Dylan der frühen Jahre, als er noch zur akustischen Gitarre und (unnachahmlich!) zur Mundharmonika sang.
Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, als es hier in Deutschland außer der klassischen Musik, die in meiner Familie niemand gehört hat, nur den deutschen Schlager gab: also Roy Black, Freddy Quinn, Wencke Myhre usw. Das war die Popmusik der „Adenauerzeit“. Mitte der 60er Jahre kam dann eine Art Kulturrevolution: mit den Beatles und vor allem mit dem Folksongs aus England und Amerika. Es war vor allem der Folk, der mich damals geprägt hat: Woody Guthrie, Pete Seeger, Judy Collins, Joan Baez – und natürlich Bob Dylan.
Da müßte ich doch eigentlich glücklich sein über den Literaturnobelpreis für Dylan. Aber ich bin es nicht, und ich finde vieles, was man heutzutage in den Feuilletons lesen kann, geradezu grotesk. Da wird Dylan mit Homer und Shakespeare verglichen, und viele der Hymnen, die unsere Feuilletonredakteure verfaßt haben, sind allenfalls autobiographisch zu begreifen.
In meinem Bücherregal steht heute noch ein Band mit den Dylanschen Liedtexten, zweisprachig amerikanisch-deutsch, erschienen 1975 bei Zweitausendeins. Wenn man darin ein bißchen stöbert, ist man schnell ernüchtert. Die Texte sind nämlich oft mit Metaphern überladen, und um große Lyrik (wie man es jetzt überall lesen kann) handelt es sich nun wirklich nicht. Es sind Texte, die nur im Zusammenspiel mit Dylans Stimme, mit seiner Musik ihre Kraft entfalten. Da freilich werden sie fast übermenschlich groß.
Aber es sind und bleiben Songtexte. Leider gibt es keinen Nobelpreis für Musik, und was sich heute so an Preisen für populäre Musik etabliert hat, belohnt fast immer nur den kommerziellen Erfolg.
Bob Dylan hat jeden Preis der Welt verdient, aber nicht den Literaturnobelpreis. Das ist ein Fehlgriff.
Ich weiß, das Feuilleton freut sich über alle Maßen, daß man in Stockholm den „engen Literaturbegriff“ gedehnt hat, aber (um die fast totzitierte Gertrude Stein noch ein weiteres Mal zu zitieren):
Literatur ist Literatur ist Literatur.
Und ein Songtext bleibt nun einmal ein Songtext, er wirkt nur zusammen mit der Musik. Ihn isoliert zu „lesen“ und als „Gedicht“ zu beurteilen, verstößt gegen sein Wesen.
Ich glaube, daß sich Bob Dylan darüber im klaren ist. Zum Preis, der ihm so unverhofft zugesprochen wurde, schweigt er immer noch. Aber zur Generalsekretärin des Nobelpreis-Komitees, Sara Danius, die ihn in Stockholm gepriesen hat, würde er vielleicht sagen:
No, no, no, it ain’t me, babe,
It ain’t me you’re lookin‘ for, babe.